Zwölf Wasser Zu den Anfängen
das Klopfen war normal, eher etwas zu langsam als schnell. In Revas kaltem Licht überprüfte Felt die Hautfarbe, aber auch die schien in Ordnung zu sein – der Chronist wirkte weder besonders bleich noch war sein Gesicht gerötet. Felt seufzte, er war kein Arzt, er war einfach nur in Sorge. Er fühlte sich verantwortlich für den Tod all dieser Menschen. Er hatte versagt. Das Mädchen, Alba. Er sah noch die Erleichterung auf ihrem runden Gesicht, als ihr klar wurde, dass sie in der Nähe des Welsenoffiziers für die Soldaten unerreichbar wäre. Und Gerder. Gerder. Felt sah noch sein wissendes Grinsen, mit dem er den übergroßen Respekt der pramschen Soldaten quittierte, und er sah den echten Respekt in Gerders Augen, wenn er mit einem knappen Gruß Felts Anweisungen entgegennahm. Gerder hatte ihm vertraut. Gerder war sein bester Mann gewesen. Er hatte Torviks Quelle nicht gesehen, er hatte nicht gewusst, wofür er sterben musste.
Aber verstand Felt denn, wofür Gerder sterben musste? Wofür sie alle hatten sterben müssen, unter Qualen und Schmerzen? Etwas in Felt sträubte sich immer noch, die Zusammenhänge zu erkennen. Er wollte nicht an Dämonen glauben. Er nahm lieber die Schuld auf sich, glaubte lieber an seine Fahrlässigkeit – er hätte nicht so überstürzt mit Reva gehen sollen, er selbst hätte Wachposten aufstellen müssen –, als anzuerkennen, dass es da draußen etwas gab, eine Macht, so unerklärlich und so finster, dass kein Licht sie enthüllen konnte.
»Wir sollten das Fieber senken«, sagte Felt halblaut, »damiter besser schlafen kann. Reva, kannst du ihn kühlen? Nur ein wenig.«
Reva löschte ihr Licht und strich Wigo über die Beine, die Arme, die Stirn. Sie berührte ihn nicht, ihre Hände schwebten über seinem Körper und er beruhigte sich.
Felt war erleichtert. Der Gedanke, dass auch Wigo sterben könnte, war ihm unerträglich. Er würde nun wach bleiben, er würde ihn nicht aus den Augen lassen. Er bedeckte den Schlafenden mit einem dünnen Tuch und warf noch ein paar Zweige ins Feuer.
»Reva«, begann er, »wir hatten noch keine Gelegenheit, über die Quelle zu sprechen.«
Sie schwieg. Sie war nicht zum Reden aufgelegt, aber Felt schon. Er wollte wach bleiben.
»Was hat der Hüter gesagt?«, fragte er. »Bleibt er immer verborgen, hinter diesem Strudel?«
Darauf musste sie etwas antworten.
»Nichts«, sagte sie.
»Was?«, fragte Felt.
»Der Hüter hat nichts gesagt. Die Quelle ist verwaist. Er wäre hier, bei uns – wenn es ihn noch geben würde. Er war immer sehr freundlich. Er freute sich über Besucher.«
»Was hat das zu bedeuten? Was ist geschehen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Reva und machte eine Geste zum Bach hin. »Das Wasser spricht nicht zu mir. Ich habe es versucht. Es schweigt. Und der Hüter ist fort.«
Sie zog ihren Umhang fest um den schmächtigen Körper.
»Felt, die Quelle stirbt. Ich konnte nichts mehr tun. Wir waren zu spät.«
»Was geht hier vor?«, fragte Felt, aber diesmal erwartete er keine Antwort.
Etwas geht vor
. Warum war Reva in den Gewittersturm geritten? War ihre Ohnmacht der Moment gewesen,in dem der Hüter dieser Quelle verschwunden war und ihr Sterben begann? Felt kam ein erschreckender Gedanke.
»Wenn die Quelle versiegt, stirbt der Hüter … Das gilt auch andersherum, richtig?«
»Ja«, sagte Reva schlicht.
»Dann müsste man nur alle Hüter umbringen und alle Quellen würden versiegen? Einfach so? Einfach umbringen und wir verlieren … alles?«
»Ja«, sagte sie wieder und kam einen Schritt auf Felt zu. »Wenn die Hüter die Quellen verlassen, wenn sie diese Welt verlassen, dann ist es vorbei. Die Welt würde dann weiter bestehen, aber es wäre keine Welt mehr für die Menschen.«
Felt holte tief Luft. Das Flackern des Feuers ließ ihre langgezogenen Schatten an den Höhlenwänden zucken.
»Felt, das Wasser wird einen Weg finden, so wie es immer einen gefunden hat. Es braucht dich nicht, es braucht niemanden, aber du brauchst das Wasser. Weil du ein Mensch bist. Du kannst viel erreichen, du kannst viel ertragen. Aber du kannst keine vier Tage ohne Wasser überleben. Weil du ein Mensch bist. Aber gerade
weil
du einer bist, willst du mehr als einfach nur überleben. Heute hast du überlebt. Reicht das? Bist du zufrieden? Nein. Deine Gedanken kreisen um Wigo, du hoffst, dass auch er überlebt. Du trauerst um die, die es nicht geschafft haben. In dir sind Hoffnung und Mitleiden. Du hast Gerder sterben
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