Zwölf Wasser Zu den Anfängen
und zur Sicherheit zeigte er mit dem Finger in seinen geöffneten Mund.
Aber der Hirte beachtete ihn nicht, er starrte die Undae an. Dann nahm er seinen Hut ab, fuhr sich mit zwei Fingern über die Stirn, als würde er einen Kreis darauf malen, und verbeugte sich tief. Sie quittierten die Ehrerbietung mit anmutigem Kopfnicken. Smirn legte die Hände zusammen und ihre Wange darauf und sagte ein paar Worte auf Pramsch. Der Mann verstand, nickte, verbeugte sich noch tiefer. Er pfiff seine Hunde zur Ordnung, dann ging er los und winkte ihnen, ihm zu folgen.
Quälender Durst weckte Felt. Er arbeitete sich aus dem stachligen Stroh, in dem er geschlafen hatte, und trat aus der Scheune auf den Hof. Er spürte jeden Knochen in seinem Körper, reckte sich vorsichtig und sah auf: Es musste um die fünfte Stunde herum sein. Auch wenn er sich nicht so fühlte, war ihm klar, dass er nicht nur ein paar Stunden, sondern einen Tag, eine Nacht und noch ein paar Stunden geschlafen hatte. Der Schäfer besaß ein großes Haus, Stallungen und eine Scheune, eine Wiese mit Obstbäumen, zwischen denen Pferde grasten – er war reicher als alle Welsen zusammen. Felt stellte sich vor, selbst ein Schäfer zu sein. Dann fiel ihm ein, dass er die Klinge seines Schwerts dringend ölen musste, damit sie nach dem gestrigen, nein, vorgestrigen Bad keinen Rost ansetzte. Er würde niemalsein Schäfer, Bauer oder ein Händler sein. Aber was auch immer mit seinem Leben noch geschehen würde – jetzt musste er vor allem etwas essen.
In der Mitte des Hofs, um den sich die Gebäude gruppierten, stand ein großer Baum, in dessen Schatten eine Tafel gedeckt war. Am Kopfende saß eine ältere Frau und in ihrem Schoß lag, gebettet auf weiße Tücher, eine Hand. Gerders Hand – mit der anderen aß er.
»Guten Morgen, ach, guten Tag, Herr Offizier.«
»Bleib sitzen, Gerder.«
Die Hand sah böse aus, quer über den Handrücken klaffte die Wunde, die Ränder schwarz, Sehnen und Knochen lagen frei, es musste sehr schmerzen, und wenn nicht, umso schlimmer. Doch das war nichts, was Felt hätte den Appetit verderben können. Die Frau lächelte Felt zu, dann begann sie Gerders Hand zu nähen, routiniert, als würde sie Hosen ausbessern. Felt setzte sich an den Tisch und bediente sich: Schafskäse, Schafsmilch, Schafseintopf, Brot. Und ein süßes Fruchtmus, das er gleich löffelweise in sich hineinschaufelte.
Er lehnte sich zurück.
»Wo sind die anderen?«
»Fander und Strommed schlafen noch«, sagte Gerder und hielt jetzt doch mit der freien Hand seinen Arm fest, um nicht zu zucken. »Die Herren Offiziere sind beim Brunnen, soweit ich weiß.«
»Wo ist der?«
»Hinter dem Haupthaus.«
»Gut«, sagte Felt und stand auf – es ging schon besser als eben noch. »Wenn du da fertig bist, weck die anderen.«
»Zu Befehl«, sagte Gerder und stopfte sich schnell eine Handvoll Brot in den Mund, damit er etwas hatte, auf das er beißen konnte.
Die Offiziere waren mit Körperpflege beschäftigt: Marken war über einen kleinen Spiegel gebeugt, den er auf den Brunnenrand gelegt hatte, und stutzte sich mit seinem Messer den Bart, Kersted kämmte sich sorgfältig die nassen Haare mit einem kleinen Hornkamm.
»Sieht aus, als hättet ihr etwas vor heute«, sagte Felt. Kersted ließ den Kamm im Stiefelschaft verschwinden.
»Allerdings«, sagte Marken, »wir gehen zum Fürsten von Pram. Aber dich können wir leider nicht mitnehmen.«
Er hielt Felt den Spiegel hin. Seine Haare waren wirr und verknotet und gespickt mit Stroh. Ein Striemen – es war unmöglich zu sagen, ob von Blut oder Dreck – lief über Nase und Wange. Die Augenränder waren gelb verkrustet, die Lippen aufgesprungen und um sie herum spross unregelmäßig ein rötlicher Bart. Seine Hosen waren zerrissen und starrten vor Dreck. Felt hatte selten einen so heruntergekommenen Soldaten gesehen. Aber hatte er denn jemals einen Soldaten gesehen? Ja, Gerder. Der hatte gekämpft und war dabei verletzt worden. Felt hingegen hatte nie etwas anderes getan, als Soldat zu spielen. Er hatte ein Bild von sich selbst gemalt, eine Vorstellung von Disziplin und Ehre mit seinem ganzen Wesen ausgefüllt, aber jetzt wurde ihm klar, was für ein Dilettant er war. Nicht einmal das – er war nichts. Er nahm Marken den Spiegel aus der Hand.
»Da sind frische Sachen«, sagte Kersted und wies auf einen bunt gemusterten Stapel.
»Wir sollten lieber in Pferde investieren.«
»Diese Leute hier
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