Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Aber auch hier waren Leute mit Handkarren unterwegs. Allerdings nicht, um Lebensmittel zu verteilen, sondern um den Unrat aufzusammeln, den die Hausbewohner auf die Gasse warfen.
Sie wechselten mehrmals die Richtung, schließlich sprangen die Fassaden zurück und die durchgehenden Häuserzeilen bekamen Lücken. Von gestutzten, dunkelgrünen Hecken eingefasste Grasflächen säumten jetzt die Straße, Männer und Frauen schnitten mit Sensen das Gras und schichteten Holzscheite auf mannshohe Eisengestelle. Hinter Mauern verborgen und von Gärten umgeben, standen die Häuser nun einzeln. In den Toreingängen oder vor den Mauern sah Felt leicht bewaffnete Soldaten. Sie trugen nur ein Kurzschwert über weißen Röcken, sprachen miteinander oder scherzten mit den Frauen und Mädchen, die auf den Grünflächen arbeiteten. Sie sahen zwar auf die vorbeireitenden Welsen, Undae und Soldaten, aber sie grüßten nicht.
»Ich frage mich«, sagte Felt zu Marken, »wie man diese Stadt verteidigen soll.«
»Ich frage mich vor allem, wer das tun sollte. Die paar Männer am Tor? Dieser Haufen, der sich untereinander nicht eins ist? Die Weißröcke da zählen nicht.«
»Ihr solltet euch besser fragen, wer Pram angreifen sollte«, warf Kersted ein, »und warum. Der letzte Krieg liegt mehr als hundert Soldern zurück. Und wir haben ihn verloren.«
Sie schwiegen. Kersted hatte recht. Bloß weil sie selbst in ständigem Kampf lebten, sich gegen Hunger, Kälte, Sturm und Schnee stemmten mit den einzigen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen – Willensstärke und Leidensfähigkeit –, musste der Rest der Welt nicht welsisch denken. Die Menschen hier lebten einfach. Sie bereiteten ein großes Fest vor. Sie konnten sich unterhalten, ohne gegen den Wind anschreien zu müssen.Sie trugen nicht die Last ihrer herrschsüchtigen Vorväter. Felt ritt durch eine friedliche Stadt mit freien Menschen und der einzige Gedanke, der ihm kam, war Krieg, war Angriff und Verteidigung. Er dachte an Estrid; wenn sie da gewesen wäre, hätte er sagen können: Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.
Sie näherten sich beständig den beiden hohen Türmen, deren glänzende Kuppeln Felt schon vom Ufer des Eldrons aus gesehen hatte – dies musste Mendrons Palast sein. Schnurgerade war die Straße nun und so breit, dass zwanzig Mann nebeneinander reiten konnten. Beidseitig standen in regelmäßigem Abstand schlanke Säulen mit großen, bronzenen Schalen, in denen rote Flammen züngelten – am helllichten Tag und ohne dass ersichtlich war, woraus sie sich speisten. Die Gebäude rechts und links der Prachtstraße waren beeindruckend, jedes einzelne hätte Felt für den Herrscherpalast gehalten, wären sie darauf zugeritten. Aber immer noch ging es weiter in Richtung der Zwillingstürme. Sie gelangten an einen Torbogen, der alles übertraf, was die Welsen je gesehen hatten oder sich hätten vorstellen können. Denn das Tor diente keinem Zweck außer dem, ein Standbild zu tragen. Keine Mauer schloss sich an und es gab keine schweren Holzflügel oder eisernen Gitter, die man hätte schließen können. Frei stand es über der Straße, von sieben mächtigen Säulen gestützt, und von oben blickte eine Gruppe überlebensgroßer Bronzefiguren auf die Reiter hinab: in der Mitte ein junger, schöner Mann, auf sein Schwert gestützt. Auf der einen Seite eine Frau, deren lange Haare wie züngelnde Flammen gearbeitet waren, und ein schlanker Mann, der die Augen mit der Hand beschirmte und bis auf ein Tuch um die Hüften nackt war. Auf der anderen Seite standen breitbeinig zwei Männer in voller Rüstung, mit Streitäxten bewaffnet. Patina hatte sichüber das Standbild gelegt und der grünliche Schleier verlieh den Figuren eine besondere Würde.
»Das sind sie, oder?«, fragte Kersted, als sie unter dem Tor hindurchritten, und Felt nickte. Ja, das waren die Sieger. Das waren die längst verstorbenen, aber unvergessenen Anführer der Allianz, die die Welsen vernichtet hatte. Fürst Palmon, Herrscher von Pram. Asing, die segurische Adeptin. Eukosi, der König der Steppenläufer. Und die beiden Brüder Horghad und Silhad, Heerführer der Kwother. Ein eigenartiges Gefühl war es, dieses Siegesportal zu durchreiten. Bald würden sie dem mächtigsten Mann des Kontinents gegenüberstehen und viel hing von dieser Begegnung ab.
ZWEITES KAPITEL
FÜRST MENDRON
Die Prachtstraße führte sie auf einen weitläufigen, belebten Platz, der die Form eines
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