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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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anhört, war der Beginn eines großen Unglücks, denn das Böse lässt sich nicht so einfach ausrotten. Es wandelte sich. Es gab seine Gestalt auf. Die Ungeheuer verschwanden, aber das Böse blieb. Es begann sich zu verschleiern, Masken zu tragen. Und schließlich gelang es ihm, sich ein menschliches Antlitz zu geben. Das Böse war vom Guten nicht mehr zu unterscheiden. Die Menschheit war noch jung. Aber sie stand bereits vor ihrem Untergang.«
    Babu hörte gebannt zu. Kam sie nun zurück zu den Falken? Waren die Szaslas die Rettung? Reva blieb kurz stehen und sah ihn mit ihren hellen, kühlen Augen so wohlwollend an, dass er unwillkürlich tief Luft holte. Eine solch schlichte und bedingungslose Zuneigung hatte er lange nicht gespürt. Sie wandte sich ab, ging wieder weiter und sprach: »Das Böse hatte also seine klare Form, seine erkennbare Gestalt verloren und war in die Menschen geschlüpft. Sie konnten nicht mehr dagegen kämpfen, ohne gegen sich selbst zu kämpfen. Sie konnten es nicht mehr vertreiben, ohne sich selbst zu vertreiben. Sie konnten zwischen Gut und Böse nicht mehr unterscheiden. Und so begannen sie, sich gegenseitig zu quälen. Sich zu töten. Sich zu vernichten   … Schreie der Verzweiflung und des Leids erfüllten die Lüfte über dem Kontinent und der Wind trug sie schließlich bis nach Wiatraïn. Und diese Schreie weckten die Szaslas aus ihrem ewigen Schlaf. Sie kamen. Sie flogen über den Berst, den großen Abgrund, aus dem der Kontinent sich erhoben hatte und in den er wieder hineinstürzen wird, wenn alle Zeitalter vollendet sind. Die Szaslas kamen und brachtenden Menschen etwas Ungeheuerliches und zutiefst Rätselhaftes: Sie brachten den Menschen ihr
Bewusstsein
. Mit allen Folgen, die das hatte. Die Menschen hatten nun die Möglichkeit, zu erkennen und zu entscheiden. Sie konnten sich selbst erkennen und sie konnten im andern das Gute oder das Böse sehen. Sie hatten die Möglichkeit, hinter die Maske zu schauen. Sie konnten
zweifeln
, ob das, was ihnen vor Augen stand, wahr und wirklich war.«
    »Es ist nicht leicht, hinter die Maske zu schauen   … das wahre Gesicht eines Menschen zu erkennen«, sagte Babu gepresst. Auch in der Erinnerung brannten sich die glühenden Augen des Wolfs-Thons noch unvermindert heiß in Babus Seele.
    »Das habe ich auch nicht behauptet. Es kann überaus schmerzhaft sein, dem Zweifel zu folgen, der Ursache auf den Grund zu gehen. Viele Menschen tun es nicht. Aber alle haben dank der Szaslas die
Möglichkeit
dazu.«
    »Die
Möglichkeit
!« Babu schnaubte verächtlich. »Was hilft das schon groß? Ich
habe
hinter die Maske geblickt   … und nun? Nun sitze ich hier, im Nichts, ohne Waffe, ohne Hilfe   … ohne Juhut.«
    Reva richtete die hellen Augen auf Babu.
    »Es ist erstaunlich, wie wenig du weißt, wie schwer du begreifst   – dafür, dass du ein Szasran bist.«
    »Ein was?«
    »Ein Szasran, einer, durch den die Alte Zeit spricht. Manche sagen auch einfach Falkner   – aber das greift wirklich zu kurz.«
    Einer,
durch den
die Alte Zeit spricht? Babu schluckte. Er hatte Juhut gebeten, nicht zu sprechen, weil jedes einzelne Wort einen Schmerz verursachte, der ihm beinah die Sinne raubte. Juhut hatte sich nur selten über Babus Bitte hinweggesetzt. Nur dann, wenn er ihn warnen wollte. Und selbst das Schweigen des Falken war schmerzhaft gewesen, ein ständiger,dumpfer Kopfschmerz   – bis der Falke ihn verlassen hatte. Warum? Weil Babu zu schwach war. Weil er ein Irrtum war. Weil die Alte Zeit durch ihn nicht sprechen konnte. Weil er
kein
Szasran war. Gegen seinen Willen stiegen Babu Tränen in die Augen.
    »Babu, der Falke spricht nicht zu dir, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte Babu mit erstickter Stimme. »Ich   … ich habe ihn gebeten, es nicht zu tun. Es sind   … es ist schmerzhaft. Jedes Wort. Ich habe das nicht ausgehalten.«
    »Wie ist der Falke dir begegnet?«
    »Ich habe   … ein Ei   … im Ei. Ich habe ein Ei geschenkt bekommen.«
    »
Ein Ei?
«
    Für Babu war es bis zu diesem Augenblick das Natürlichste der Welt gewesen, dass Vögel aus Eiern schlüpfen. Aber Revas Reaktion sagte ihm, dass er sich irren musste. Sie ging schnell auf und ab, schaute auf ihn, schaute zur Stadt, sprach mit sich selbst, aber nicht mehr in seiner Sprache, und so konnte Babu sie nicht verstehen.
    »Kann ich ihn wiederbekommen?«
    Er hatte sehr leise gefragt, beinah nur sich selbst, aber Reva blieb so abrupt stehen, als habe er sie angebrüllt.
    »Du

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