Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
Vom Netzwerk:
Reva gehen, nachdenken, und erfasste endlich die Situation, in der sie waren: ohne Nahrung und ohne Medizin auf einem Berg im Nichts mit einem Verletzten, der nicht bei Sinnen war. Babu hielt immer noch Felts Hand und sah auf den großen Mann, der ihn so beeindruckt hatte beim Kampf gegen die Wölfe mit seinem langen schwarzen Schwert. Und der nun ausgestreckt dalag in einem seligen Vergessen, um das ihn Babu vor Kurzem noch beneidet hätte. Jetzt aber sah Babu einen Schwertkämpfer, der nicht wusste, dass er seine Schwerthand verlieren würde. Nicht schön. Nicht leicht. Gab es denn keine Möglichkeit, das zu verhindern?
    »Die Hand braucht Schutz«, sagte Reva und Babu glaubte, laut gedacht zu haben. »Er hat kein Gefühl darin. Die Gefahr, dass er sich noch weiter verletzt, dass er irgendwo anschlägt, die Blasen sich öffnen, ist groß. Eine Entzündung ist das Letzte, was Felt brauchen kann.«
    »Ich bin gleich zurück«, sagte Babu, legte Felt die Hand auf den Bauch und stand auf.
     
    Er hatte seinen Mantel ausgezogen   – oder das, was davon noch übrig war   – und zerschnitt ihn endgültig. Erst hatte Meister Balk die Ärmel abgetrennt, damit er ihn auch über Falknerweste und -handschuh tragen konnte. Dann hatte Babu sein Stirnband herausgeschnitten, später Felt die Fessel. Und nun zerfiel der Mantel vollends in schmale Streifen, mit denen Babu Felts in Moos eingepackte Hand umwickelte. Er hatte das Moos aus dem Wasserbecken gelöst und ausgedrückt; die Pflanzenfasern waren weich wie Flaum. Babu machte noch eine Schlinge und band Felt den Arm auf den Bauch, dann war das Leder aufgebraucht.Übrig blieben nur der Kragen, das Innenleben der Taschen und die harten Nähte   – der nutzlos gewordene Rest von Babus altem Leben. Felt ließ alles mit sich geschehen, er half nicht mit, sträubte sich aber auch nicht. Babu betrachtete sein Werk: nicht schön. Aber das Beste, was unter diesen Umständen möglich war.
    »Und nun?«
    »Gib ihm zu trinken. Aber mach das Wasser warm.«
    »Wie? Wir haben keinen Kessel.«
    Reva schob sich den weiten Ärmel ihres Gewands hoch, griff den Becher und hielt ihn in die Flammen des Lagerfeuers, schwenkte ihn leicht hin und her. Die Flammenzungen leckten am Metall. Und an ihrer narbenverzierten Haut.
    »Eine schöne Weste hast du da, Babu.«
    »Was?«, machte Babu und starrte auf Revas Hand.
    Reva wies kurz mit dem Kinn auf ihn und drehte dabei weiter das Wasser im Becher, damit es sich gleichmäßig erwärmte. Jetzt, da er keinen Mantel mehr trug, konnte man Meister Balks Arbeit wieder in Gänze bewundern: den verbrämten kurzen Stehkragen, den bestickten Rücken, die Ärmel mit den beweglichen Lederplatten   … Aber all das brauchte er wohl nicht mehr, genauso wenig wie den Falknerhandschuh. Handschuh! Babu streifte ihn schnell über und riss Reva den glühend heißen Becher aus der Hand. Sie lachte auf.
    »Schon gut, Babu, mir macht so ein kleines Feuer nichts aus. Dir auch nicht, wie es scheint. Der Mann, der dieses Leder gefertigt hat, kennt ein paar Geheimnisse.«
    Babu hielt den Becher genau wie zuvor Reva mitten in die Flammen. Das Leder des Handschuhs blieb unbeschädigt und er spürte die Hitze nicht. Aber er sah sich zittern. Heftiger. So heftig schließlich, dass er den Becher absetzen musste, um nicht alles zu verschütten.
    »Der Mann, der dieses Leder gefertigt hat, ist tot.«
    Als habe dieser Satz ein Wehr geöffnet, strömte nun alles, was Babu so lange in sich zurückgehalten hatte, aus ihm heraus. Er erzählte von Dant, dem Gerber. Vom Thon, der ihn hatte umbringen lassen und dazu den ganzen Clan, auch die Kinder. Vom Thon, der sein Onkel war. Der eine Blutspur durchs Lange Tal zog und sie mit der Idee des Friedens und mit Wohlstand überdeckte. Der ihm den Vater genommen und Babu zu einem Sohn des Friedens gemacht hatte. Dessen Betrug und Verräterei so groß, so umfassend war, dass er sogar Jator damit angesteckt hatte. Reva hörte ihm zu, bedeutete ihm nur ein Mal, Felt zu trinken zu geben. Babu tat es, immer noch vor Erregung zitternd und ohne seine Rede zu unterbrechen. Er ließ nichts aus, er gestand alles. Wie er Jator, den besten und einzigen Freund, erstochen hatte. Wie er nur den Verräter in ihm gesehen hatte und nicht erkannt hatte, wie sehr Jator an ihm hing. Wie furchtbar, wie groß die Schuld war, so groß, dass Babu sie zuerst nicht wahrgenommen hatte, nicht überblicken konnte. Reva fasste kurz an den Anhänger der Kette und schloss die

Weitere Kostenlose Bücher