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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Augen, sagte aber nichts. Also erzählte Babu weiter: von den Fremden, die zu ihnen gekommen waren mit ihren großen Falken. Reva lächelte, als Babu von der Hasenplage berichtete, genau wie er selbst, denn nun war ihm klar, welch lächerlicher Vorwand das gewesen war. Alles, was Juhut betraf, stand Babu so klar im Gedächtnis, als wäre es gerade erst passiert. Nur als er mit seiner Erzählung in die Galaten, ins Hochgebirge, gelangte, geriet er ins Stocken. Vor dem blendenden Weiß sah er sich selbst nur noch schemenhaft, der Kampf mit dem Wolfs-Thon und dem Rudel war ein verblassender Traum. Er sah die Fratze, das dämonische Antlitz, das wahre Gesicht seines Onkels, aber in Babus Erinnerung stiegen so viel Schmerz und Hass auf und beides brannte so heiß, dass es schwer in Worte zu fassen war.Er versuchte es dennoch. Revas Augen leuchteten ihn an wie ein helles Gegenfeuer zum finsteren Brand in seinem Innern, zugleich aber kaum auszuhalten. Und Babu hastete weiter, übersprang den Splitter in seiner Stirn, fasste die langen Tage der Jagd in einem Satz zusammen und gelangte vor die Höhle, wo er seinen letzten Pfeil verschoss, um den Kämpfer mit dem langen Schwert zu retten. Und wo er Reva das erste Mal gesehen hatte, als einen Schimmer nur, vor dem Dunkel.
    Babu musste auch noch sagen, dass er das Gefühl habe, in einem Gewirr aus Verrat, Enttäuschung und Schuld gefangen zu sein, in vielen Schlingen. Manche Enden hielt er selbst in der Hand, andere der Thon, wieder andere Jator. Er sprach von seiner Mutter und darüber, dass sie sich von ihm abgewendet hatte, weil er dem Vater nicht ähnlich geworden war, dass sie nie wirklich vom Vater erzählt und so Babus Zweifel geschürt hatte.
    »Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich bin kein Sohn, kein Hirte, kein Freund und ich bin auch kein   … Szasran. Ich bin schuldig und ich bin schwach. Ich bin gefesselt mit   … unsichtbaren Fesseln der Schuld und Scham. Wie Dant, wie die Tartor es waren   … Ich wollte immer frei sein und nun bin ich einfach nur allein. Und ich kann Nuru nicht vergessen.«
    Reva sagte nichts dazu und Babu sah ein, dass es weise war, zu schweigen und keinen falschen Trost zu spenden. Wie es sich wohl anfühlen mochte, von allem zu wissen, aber nichts und niemandem nah zu sein? Anteil zu haben an allem, selbst dem Geringsten, und gerade deshalb nicht wirklich anteilnehmen zu können? Konnte ein Mensch das aushalten? War Reva überhaupt ein Mensch? Babu sah die schmächtige Gestalt, klein wie eine Merzerin, aber feingliedriger. Eine Frau, aber fast aller weiblichen Attribute beraubt, ohne Haare, ohne Wimpern und Augenbrauen, flachbrüstig wie ein Kind, die Haut, soweitsichtbar, von einem Narbengeflecht überwachsen. Und er stellte fest, dass ihm ihre Fremdartigkeit nicht fremd erschien. Er konnte ihr alles erzählen, mehr, als er je jemandem offenbart hatte, mehr, als er sich selbst lange hatte eingestehen können   – und war nicht enttäuscht, dass sie auf seine lange Rede nicht mit einem Satz antwortete. Es war einfach so, als habe er etwas aus sich herausgeschüttet, seine Geschichte, und Reva hatte sie aufgenommen wie ein Gefäß, das unendlich viel fassen konnte und jeden Inhalt sicher verwahrte, denn es war aus einem Material gemacht, das niemals zerspringen würde.
    Nun schwieg er und betrachtete Reva. Und mit einem Mal erschien es ihm, als sei sie in ein strahlendes Licht getreten. Er sah sie am Saum eines Wassers stehen. Als sie sich bückte und ihre Hand ins Wasser tauchte, fielen ihr lange Haare vors Gesicht. Sie neigte den Kopf und lauschte. Dann hob sie den Blick   – dunkle Augen unter langen Wimpern in einem fein geschnittenen, makellosen Gesicht   – und schaute in den Himmel, an dem sich schwere Wolken zu einem Unwetter ballten. Und an dem Vögel kreisten. Hunderte großer Vögel   – Szaslas. Sie richtete sich auf, warf dabei eine Handvoll Wasser hoch in die Luft, ein hell glitzernder Bogen stand vor drohendem Schwarz. Sie rief etwas.
    »Babu? Babu, bist du so weit? Wir sollten gehen.«
    Sie lächelte ihn an. Mit blassen, wimpernlosen und narbenumrankten Augen. Und Babu wusste: Sie war ein Mensch   – gewesen. Sie war ein Mensch der Alten Zeit. Sie verstand noch die Sprache des Wassers und sie war eine Wächterin. Sie wachte über diese Welt durch alle Zeiten. Sie hatte nichts gesagt, als Babu vor ihr sein Innerstes nach außen gekehrt hatte. Sie hatte ihm keinen falschen, sondern wahren Trost gespendet: Sie hatte ihn

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