Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
Vom Netzwerk:
Verletzung ist das?«
    »Erfrierung. Zwei Finger.«
    Felt nahm wortlos die Tasche, hängte sie sich um und ging weiter. Blieb stehen. Drehte sich zu Babu und Reva um.
    »Seit wann sprichst du Welsisch?«
    Babu schaute ihn entgeistert an. »Aber das tue ich nicht!«
    »Natürlich tust du das, willst du mich auf den Arm nehmen? Ich verstehe jedes Wort.«
    »Ich   … nein!«
    »Hast du dich verstellt? Dieses ganze Gestotter   … wenn wir beim Feuer saßen   … Wolltest du mich demütigen?«
    »Felt, ich schwöre   … ich weiß auch nicht   – Reva!«
    Sie lachte ihr übermütiges Kinderlachen. »Ich habe mich schon gefragt, wann ihr es endlich bemerkt.«
    Die beiden Männer schauten sie verwundert an.
    »Ja, wundert euch ruhig. Ihr seid durch den Nebelwald gegangen, der jedem lebenden Wesen die Seele ausfranst, selbst mir; ihr seid den Vergessenen Steig emporgewandert, den seit Beginn der Zeit kein Mensch mehr gegangen ist; ihr überquert den Berst, den Abgrund, der ganze Welten verschlingt   – wundert euch! Ich
verlange
es von euch. Werdet euch bewusst, wer ihr seid und was ihr tut. Ihr habt den Kontinent verlassen. Ihr seid hier nicht mehr zu Hause. Hier gelten andere Gesetze.«
    Sie war freundlich geblieben, aber ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Felt erkannte, dass er immer noch nicht wirklich weitergekommen war, immer noch nicht verstand. Die Unda zog sich regelmäßig aus seinem Bewusstsein zurück. Er vergaß sie zwar nicht, aber sie wurde unscheinbar. Als ob sie Platz in seinem Denken machte, damit er selbst die Zusammenhänge erfassen konnte. Und regelmäßig nutzte er diesen Freiraum nicht. Er dachte daran, ein Lager einzurichten, Wachen aufzustellen. Er dachte an Estrid, an die Kinder. Er dachte an Goradt, er wünschte sich zurück nach Hause. Er überlegte, was mit seiner Hand passiert sein könnte, er glaubte, Babu wolle ihn demütigen. Er vergaß, was Reva ihm über Babu gesagt hatte:
Verdirb es dir nicht mit dem jungen Merzer.
Er hatte nicht darüber nachgedacht,
warum
er sich mit Babu gut stellen sollte. Jetzt hatte er ihn beschuldigt und beleidigt   … Felt hatte aufso vieles nicht geachtet, so vieles verdrängt. Er hatte die Wölfe gesehen, er hatte gekämpft, er hatte bis zum Hals in seinem eigenen Entsetzen gestanden   – und war immer noch nicht in der Lage, über seine persönliche Schuld, seine eingebildete Verantwortung hinwegzusteigen und in die Finsternis zu gehen, aus der diese Kreaturen wirklich kamen.
    Etwas geht vor.
Und Felt trottete nebenher.
    Die Quellen versiegten, verwaisten, der Menschheit kam die Menschlichkeit abhanden? Es war furchtbar, es war unbegreiflich, aber er würde sich daran gewöhnen. Was konnte er schon dagegen tun?
    Felt sah in die unendliche Weite des Bersts. Er hatte das schon oft getan. Aber er hatte sich umdrehen können und hinter ihm waren Berge, war seine Heimatstadt gewesen. Jetzt stand er mitten in der Unendlichkeit und die unmögliche Stadt, der Mythos, Wiatraïn, lag vor ihm. Er hatte sich gewundert. Aber nicht genug. Er hatte sich wie immer auf das Naheliegendste konzentriert: Er wollte vor allem einen sicheren Pfad finden. Er wollte nicht stürzen. Er hatte Angst. Angst vor der Größe der Aufgabe und Angst davor, dass sein Geist nicht imstande sein würde, diese Dimension auszumessen. Er wollte im Kreis gehen, wie immer, und nach Hause, zu Estrid, zurückkehren. Er wollte der Begleiter der Unda bleiben, nicht mehr, er wollte nicht vorangehen, er wollte nicht führen, er wollte nicht nach oben   – denn er wollte nicht fallen.
    Revas Blick ruhte auf ihm. Stumm bat Felt sie, nicht zu viel von ihm zu verlangen. Er hatte nicht das Gefühl, dass seine Bitte erhört wurde.
    »Ihr könntet euch ein wenig unterhalten«, sagte sie und ging an den Männern vorbei. »Die Gelegenheit ist günstig.«
    Wahrscheinlich hatte sie recht. Aber Felt war nicht nach Reden zumute und auch Babu schwieg. Er war gekränkt, daswar ihm deutlich anzusehen. Und er litt unter dem Verlust des Falken. Wer außer Felt hätte Babus Leid besser nachvollziehen können? Dennoch, und obwohl ihm Babu das Leben gerettet hatte: Felt konnte keine Freundschaft für Babu empfinden. Also gingen sie hintereinander, jeder für sich, auf die Stadt zu, die von der sinkenden Sonne angestrahlt wurde und einen langen Schatten auf die Wolken legte. Wie unsichtbarer Steinschlag fuhren immer wieder Windstöße in den hellen Grund, der keiner war, und legten die verschlungenen Pfade

Weitere Kostenlose Bücher