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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Windstoß tobte einmal um die Gruppe herum, warf Haare hoch, zog Reva die Kapuze vom Kopf und tauchte dann in die Wolken   – wobei er ein gutes Stück des Weges freiblies. Unter der dichten, schier endlos ausgebreiteten Wolkendecke lag ein verzweigtes Netz aus wulstigen Steinsträngen, die sich auch in die Tiefe zu verästeln schienen. Wie tief, war nicht auszumachen, denn der weiße Dunst waberte zurück und umfloss Felts Stiefel auf Knöchelhöhe. Babu strich sich die langen Haare aus dem Gesicht und Reva richtete sich auf.
    »Du stehst auf den Wurzeln der Welt«, sagte sie, »aber das musst du jetzt nicht begreifen, Felt. Fürs Erste bin ich einfach froh, dass du wieder bei uns bist.«
    Der Windstoß hatte Felt endgültig aufgeweckt und den letzten Rest Dunkelheit aus seinem Geist vertrieben. Im Berst zu stehen   – auf Wolken   – war seltsam genug, aber ein Berst ohne Wind, das wäre dann doch eine Seltsamkeit zu viel gewesen. Reva war hier. Babu war hier. Ihm fiel ein, dass er sie verloren hatte, und ihm fiel auch ein, dass Babu Juhut verloren hatte. Wie er Reva wiedergefunden hatte, daran hatte er keine Erinnerung. Aber der ganze Rest   – die Reise, die Quellen, die Wölfe, Wigo   – rutschte wie eine Lawine in sein Gedächtnis.
    »Gehen wir weiter?«, fragte Babu.
    »Wohin?«, fragte Felt.
    »Nach Wiatraïn«, antwortete Reva und wies über seine Schulter. Felt wandte sich um. Zwar immer noch fern, aber deutlicher zu erkennen als unter dem großen Steinbogen, jenem Einfallstor des Windes, schwamm die Stadt im ruhigen Wolkenmeer. Eine Unzahl bizarr geformter Türme schraubte sich aus einem großen, komplizierten Gebäudegebilde. Viele der Türme schienen wie um sich selbst gedreht zu sein, hatten Balkone, die an Auswüchse erinnerten, durchbrochene Spitzen, durch die der Himmel blinkte. Sie waren unterschiedlich hoch, verschieden dick und ragten nach keinem erkennbaren Muster aus dem, was ein wahnsinniger Baumeister dort in die Wolken geworfen hatte: Die Bauten fielen übereinander, Brücken schwangen sich in hohen Bögen ins Nichts, große Terrassen wurden von hohen, steilen Wänden gerahmt, für niemanden zugänglich. Die Stadt schien wie in ihrem Einsturz eingefroren, wirkte aber dennoch nicht zerstört. Ganz im Gegenteil, sie war wie aus einem Stück, wie gewachsen. Felt erkannte keine geraden Mauern, keine spitzen Giebel, keine rechtwinkligen Fensteröffnungen, alles schien gerundet.
    »Wollen wir nun gehen?«, fragte Babu. »Es ist noch ein ganzes Stück.«
    »Du hast es eilig?«
    »Ich gehe voraus«, sagte Babu knapp und ging an Felt vorbei. Ohne besondere Vorsicht schritt er aus, ganz so, als ginge er in flachem Wasser und nicht auf Wolken. Oder auf den darunter verborgenen Wurzeln der Welt   …
    »Es zieht ihn zum Falken«, sagte Reva.
    Felt wagte einen Schritt. Beim Gehen verzog sich der Dunst etwas. »Was, wenn ich danebentrete?«, fragte er.
    »Ich glaube nicht, dass es ratsam wäre, das auszuprobieren«, sagte Reva und folgte Babu.
     
    Felt brauchte nicht lange, um sich zu gewöhnen. Er ging und das half. Tag für Tag hatte er in den Berst geschaut   – nun marschierte er hindurch. Außer der Stadt, die immer höher und absurder vor ihnen aufragte, und dem Baumriesen, der nun doch kleiner wurde und hinter ihnen im sanft gewellten Wolkenhorizont versank, war weit und breit nichts zu sehen. Die Sonne, die Felt deutlich größer erschien als gewohnt, konnte ungehindert ihren Bogen über einen Himmel ziehen, der von einer außerordentlichen Klarheit war. Ihren Aufgang hatte Felt nicht gesehen, aber untergehen würde sie bald: Merkwürdig langsam senkte sich die strahlende Scheibe in den Wolkenteppich und verfärbte ihn ins Rötliche. Der Mond war sichtbar geworden, auch er schien besonders nah und fast voll zu sein. In seinem Gefolge glänzten die ersten Sterne auf. Es wäre gut, wenn sie die Stadt vor Einbruch der Dunkelheit erreichten. Felt beschleunigte seine Schritte, ging an der in sich gekehrten Reva vorbei und schloss zu Babu auf.
    »Was ist mit meiner Hand? Ich spüre sie kaum.«
    »Du hast sie dir verletzt.« Babu warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.
    »Aha, und wie?«
    »Das wissen wir nicht. Nein, nicht nachschauen!«
    »Und warum nicht?«
    »Weil   … weil die Hand geschützt bleiben muss.« Babu blieb stehen. »Ich habe sie dir verbunden, so gut es ging. Wir haben so ziemlich alles verloren. Ach, hier, deine Tasche.«
    Felt ignorierte sie. »Babu, was für eine

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