Zwölf Wasser Zu den Anfängen
nun war sein Schulterplatz dahin. Er nahm noch einen Schluck Ganse.
»Marken war ganz außer sich. Der neue Stahl ist hart, sehr hart. Mit einer Speerspitze hat er auf die Klinge geschlagen und sie ist sogleich zerborsten.«
Estrid sah ihn an und in ihren grünlichen Augen war ein Glimmen, das Felt vorsichtig werden ließ. Sie waren schon lange zusammen und Felt hatte nicht viele Frauen gehabt, bevor Estrid in sein Leben getreten war. Von diesem Zeitpunkt an hatte es nur noch sie gegeben und oft war es so, dass sie nicht nur in seinem Herzen, sondern auch in seinem Kopf saß. Dann brauchte er nicht mehr sprechen und sie verstanden sich dennoch. Nur in einem waren sie uneins – was das Schicksal derWelsen anging. Felt fügte sich, während Estrid haderte. Es war nicht ihre Art zu klagen. Aber sie empfand ein Unrecht, gegen das sie mit einer stummen Härte aufbegehrte, einer inneren Versteifung, die Felt nicht imstande war zu lösen. Schon gar nicht, indem er von mächtigen Waffen erzählte.
Er versuchte in ihrem Gesicht zu lesen. Sie war überrascht, aber nicht so sehr, wie Felt es gewesen war, als die Klinge zersprungen war.
»Estrid, warum sprichst du nicht mit mir?«
»Was denkst du?« Sie schaute auf ihre Hände. »Dass die Schmiede einen Überfall auf Pram planen?«
»Sag du mir, was ich denken soll.«
»Glaub nicht, dass mein Bruder mir alles erzählt.«
»Jedenfalls mehr als mir. Ich erfahre die Dinge als Letzter, wie mir scheint.«
»Felt, ich habe in meinem Leben nichts anderes gesehen als Stein.«
Er stellte den Becher ab und nahm ihre Hand. Er hätte enttäuscht sein können. Sie hatte vom neuen Stahl gewusst und er hatte es ihr nicht einmal angemerkt. Sie hatte nichts gesagt und er hatte es sofort erzählt. Aber das Leben, das sie führten, das alle Welsen führten, strafte die, die nicht nachdachten, die aufbrausten, die wegen nichts ihre Kraft verschwendeten. Stolz und Sturheit waren überlebenswichtig, aber Wut war gefährlich. Jede innere Erschütterung konnte eine ganze Lawine auslösen. Eine Lawine aus Zweifel und Hoffnungslosigkeit. Hier mussten die Sturheit und der Stolz hingestellt werden, als unermüdliche Kämpfer gegen das Gefühl, von der Welt vergessen worden zu sein. Aber niemals gegen einen anderen Menschen, einen Welsen. Niemals gegen Estrid. Das war Felts Überzeugung.
Er träumte von Wiesen und Wäldern, obwohl er darauf hätteverzichten können. Er musste nicht nach Pram, aber schon die Aussicht auf die Reise nährte die Erinnerung und besetzte seine Gedanken. Wie musste es Estrid gehen, die niemals selbst dort gewesen war, deren Vorstellung von einem Wald allein auf Felts Beschreibung gründete? Ihre Sehnsucht war gewachsen. Und sie hatte trotzdem gelächelt und würde ihn mit dem Treck ziehen lassen.
»Du weißt, dass ich den Hauptmann bitten würde, für dich eine Ausnahme zu machen.«
»Felt, und du weißt genau, dass ich dir das nicht antun würde. Ausgerechnet du sollst deine Position ausnutzen? Und wie stehe ich da, wenn ich einem andern den Platz wegnehme? Nein, ich hätte mit dem Treck gehen müssen, als ich jünger war. Ristra wird für mich gehen, in ein paar Soldern, ich werde sie genau befragen. Dann werden wir ja sehen, ob du mir die Wahrheit erzählt hast. Farbiges Licht, weiche Luft, wer soll so etwas glauben?«
Sie lächelte wieder, aber diesmal misslang es ihr gründlich, denn das Unrecht ließ ihre Mundwinkel zittern. Ein Unrecht, das zwischen ihnen stand, zwischen dem, der nicht gehen musste, aber sollte, und der, die nicht gehen konnte, aber wollte. Ein Unrecht, das Estrid von sich selbst auf alle Welsen lud, auf den Schultern ihres ganzen Volkes verteilte, denn allein war sie nicht mehr imstande, es zu ertragen. Was auch immer Remled ihr erzählt hatte, wie weit auch immer er seine Schwester in die Angelegenheiten der Schmiede eingeweiht hatte, er hatte es aus demselben Grund getan, aus dem Felt nicht enttäuscht war und Estrid ihr Schweigen sofort verzieh: aus Sorge. Estrid kämpfte immer unerbittlicher gegen ihre eigenen Wünsche. Die Traurigkeit darüber, dass diese Wünsche unerfüllbar blieben, wuchs. Sie war zu stolz für Trost. Wer Estrid kannte und sie wirklich liebte, gab ihr etwas anderes in die Hand, damit sieihre Verteidigung aufrecht halten konnte – einen Stahl, der härter war als der Stein, aus dem ihre Welt bestand.
Felt konnte sich in alles fügen, aber er konnte das nicht von seiner Frau verlangen. Trotzdem wollte er sicher
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