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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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war schnell und wurde immer schneller, den Frauen rutschten die Kapuzen von den Köpfen, schon hob sich der Bug aus dem Wasser, Marken verlor das Gleichgewicht und kippte von seiner Ruderbank. Auf dem Rücken liegend wie ein Käfer rief er: »Großartig! Heute Nacht noch sind wir in Pram!«
    »Oh, wir fahren nicht nach Pram«, rief Smirn in den Fahrtwind. »Wir fahren einen alten Freund besuchen!«
     
    Die Reiter auf welsischer Seite hatten keine Chance, sie einzuholen, denn ihre Pferde hatten wenig Ausdauer im Aschenland und blieben bald zurück. Auch auf pramscher Seite war es schwierig, das Boot zu verfolgen. Das Ufer war bewaldet. Die Soldaten ritten ohne Sichtkontakt auf der Handelsstraße, die zwar gut befestigt war, sich aber vom Ufer entfernte. Sie führte durch die Lagerstadt nach Bosre und von dort weiter durch den Wald und nach Pram hinein. Bosre war das vorgelagerte, südlichste Viertel der großen Stadt, umgeben von tiefen Wäldern, die neben dem Fischfang die Grundlage für Prams Aufstieg gebildet hatten. Auch heute noch wurden hier Bäume zu Gold, obwohl der Holzhandel für Prams Wohlstand nur noch eine Nebensache war. Die Holzfäller von Bosre bearbeitetendie Stämme und machten sie für den Transport fertig   – für den Weg flussaufwärts über die Schleife des Eldrons zum Hafen von Pram, von wo sie weiter nach Nordosten gebracht wurden ins Land der Merzer, das zwar reich an Weidegrund, aber arm an Wäldern war. Flussabwärts wurden Prams direkte Nachbarn beliefert, die Kwother, und sogar die Seguren, weit im Süden, waren Abnehmer des Bosre-Holzes, denn die Qualität war unvergleichlich.
    Der Wald von Bosre war für die auf dem Fluss Flüchtenden aber nur ein vorübergehender Vorteil: Die dicht bewachsenen Ufer mochten zunächst Schutz bieten, doch irgendwann würden sie an Land gehen müssen und es gab kaum Stellen, an denen das möglich war. Die Bucht von Bosre, die Holzverlade, oder der große Hafen von Pram schienen geeignet   – dazwischen war nichts. Nur die Einmündung der Bahnde, eines schmalen, flinken Flüsschens, das tief im Wald entsprang und von den Holzfällern manchmal benutzt wurde, um Stämme nach Bosre zu schwemmen. Genau in diesen Wasserlauf lenkten die Undae das Boot. Ein Unterfangen, das normalerweise kaum geglückt wäre, denn die Strömung war stark und unter den Zweigen der Bäume, die sich weit über das Wasser lehnten, war es stockfinster. Viel langsamer ging die Fahrt nun, es war ein Schweben über den Teppich der Geräusche des nächtlichen Waldes: ein leises Glucksen unsichtbarer Strudel, ein Knirschen in altem Holz, ein raschelndes Flüchten, ein knackendes Huschen, der kurze Ruf eines Vogels. Über allem das an- und abschwellende Rauschen der hohen Wipfel, in denen ein Wind wohnte, der niemals schlief. Sie fragten nicht. Sie sprachen nicht. Die Welsen lauschten den Stimmen einer Welt, die vollkommen anders war als die ihre. Und warteten immer noch darauf, dazwischen Wohlbekanntes zu hören: die Stimmen von Soldaten. Aber für den Moment schienen sie ihre Verfolger abgehängt zu haben,sie waren allein. Allein in einer lebendigen Schwärze, die, je tiefer sie in sie eindrangen, unbegreifbarer und zugleich mächtiger wurde. Als drängen sie vor ins Innere eines sich in alle Richtungen ausdehnenden Organismus, den aufgeblähten Leib eines riesenhaften Etwas, und der Luftzug in den Blättern war nichts anderes als der Atem dieses Wesens, das Wald hieß. Dass sie sich nicht selbst bewegten, tastend, stolpernd, sich die Schultern an Stämmen anschlagend, sondern im von den Undae gelenkten Boot hineingezogen wurden in die Finsternis, machte es noch unwirklicher.
    Felt starrte und starrte und wartete vergeblich darauf, dass seine Augen sich ans Dunkel gewöhnten. Er blieb blind, er bestand nur aus Ohren und sein Hörsinn schien immer empfindsamer zu werden. Immer deutlicher konnte er aus dem allgemeinen Gemurmel des Waldes einzelne Laute herausfiltern   – ein tieferes Ächzen, ein schärferes Knacken, nein, eher ein Reißen, ein dumpfer Schlag, als sei etwas aus großer Höhe auf weichen, moosigen Grund gefallen. Ein Laufen, die Lautspur eines Laufens, ein Brechen im Unterholz, das Knicken weicher, saftiger Stängel, vielleicht Farne, das leise Klatschen von Ranken an Rinde, die zurückschlugen, wenn das, was da lief, hindurch war. Das war ganz sicher kein Soldat, das war kein Mensch, der ihnen da am Ufer folgte. Kein Mensch könnte sich in dieser vollkommenen

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