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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Finsternis in solcher Geschwindigkeit durch den dichten Wald schlagen. Kein Licht, keine Fackel war zu sehen. Aber wie schnell waren sie eigentlich? Felt hatte nicht nur seinen Sehsinn verloren, sondern auch die Orientierung und jedes Gefühl für die Zeit. Er spürte auch nicht mehr die Anwesenheit der Undae oder seiner Gefährten. Er zog die Handschuhe aus. Ja, er fühlte das Brett, das glatte Holz der Ruderbank, er war noch in dem Boot. Er hob den Kopf. Ja, da war ein Luftzug, sie fuhren noch. Und, ja, da war ein Laufen, amrechten Ufer, am rechten Ohr. Wie breit mochte das Flüsschen hier sein? Oder, anders gefragt, wie nah waren sie den Ufern? Sehr nah. Felt hatte die Vorstellung, dass das Tier   – denn es musste ein Tier sein, das Witterung von ihnen aufgenommen hatte   – nicht weiter als eine dreifache Armeslänge von ihm entfernt war. Konnte er schon den Atem hören? Ein Hecheln vielleicht? Er war sich unschlüssig. Sicher aber war, dass das Tier weder vorauslief noch zurückblieb. Wie schnell oder langsam auch immer sie sich bewegten, das Tier hielt Schritt. Die Geräusche des Laufens blieben auf gleicher Höhe, blieben an Felts rechtem Ohr. Es gab doch nur ein Tier mit einer solchen Ausdauer, nur ein Tier, das seine Beute hetzte, bis sie sich aufgab. Nur ein Tier, vor dem Felt sich fürchtete.
    Ein Wolf.
    Im selben Augenblick, in dem sich die Vorstellung in seinem Kopf festsetzte, von einem Wolf verfolgt zu werden, sah Felt das rote Augenpaar aufleuchten. Kurz nur, dann verwischte es, dann war es verschwunden, dann wieder da. Als würde der Wolf im Laufen den Kopf zu ihm wenden, hinter Stämmen, Unterholz, Büschen, und dann wieder nach vorn sehen. Um gleich wieder zu Felt und ihm direkt in die Augen zu schauen   – auf kurze Distanz. Das war keine dreifache Armeslänge, das war nur eine einfache, wenn überhaupt. Weit auseinander standen die glühenden Augen, der Schädel musste gewaltig sein. Aber nein, das war nicht wirklich, seine Sinne täuschten ihn, kein Auge leuchtet aus sich heraus und kein Mondstrahl, der sich hätte darin fangen können, drang vor bis auf den Waldboden. Felt legte die Hände auf die Ohren und schloss die Augen. Nun hörte er statt des Knackens und Brechens von Ästen das Rauschen seines eigenen Bluts. Dann gab es einen Schlag, das Boot machte einen Ruck, es war auf Grund gelaufen oder gegen die Uferböschung gestoßen, und weil Felt sich für dieseneinen Moment nicht an der Bank festgeklammert hatte, verlor er das Gleichgewicht und kippte.
    Er fiel.
    Er fiel aus dem Boot, er spürte feuchtes Gras an den Händen, lange Halme oder Farn oder etwas anderes Pflanzliches. Schnell rappelte er sich auf und griff um sich. Da, Holz, aber zu glatt, er versuchte, sich anzukrallen am davonziehenden Boot, doch es gelang nicht, es riss ihm einen Fingernagel ab, er versuchte zu laufen, hinterher, doch die Pflanzen, der feuchte, weiche Grund hielten ihn fest. Er schrie, er rief dem Boot nach in Panik, aber es kam nur ein erstickter Schluchzer aus seinem Hals. Und keine Antwort.
    Er versuchte sich zu fassen. Die Situation zu beherrschen, seine Lage nüchtern zu betrachten. Er beruhigte seinen Atem, bis sein Keuchen nachließ. War da was? Nein, kein Laufen mehr, sondern Stille. War das gut oder schlecht? Es spielte keine Rolle, denn es war nur Einbildung gewesen, eine Überreizung seiner Sinne, es war vorbei, es war unwichtig. Wichtig war jetzt nur, die anderen wiederzufinden. Er müsste doch nur dem Flusslauf folgen. Irgendwann wäre diese Nacht zu Ende, irgendwann würden sie bemerken, dass er hinausgefallen war. Sie würden warten, nein, sie würden zurückkommen, ihm entgegen, er müsste nur dem Fluss folgen, denn das war das Vernünftigste. Marken und Kersted würden das genauso sehen, sie dachten wie er, und deshalb würden sie sich bald wiederfinden, spätestens bei Tagesanbruch. Er war erleichtert, aber   – wo war der Fluss? Felt machte ein paar mühsame Schritte durch das Schlingengras, das ihn nicht gehen lassen wollte, in die Richtung, in der er den Wasserlauf vermutete. Der Grund war sumpfig, er hörte das Schmatzen, hier musste Wasser sein. Dann war das Gehen leichter. Das war die falsche Richtung. Er blieb sofort stehen, bückte sich, tastete. Moos. Feuchtes,glitschiges Laub, das unter seinen Händen zu einem klebrigen Schmier zerfiel. Er ging wieder zurück, so glaubte er wenigstens, auf allen vieren, langsam, er suchte das sumpfige Ufer, an dem er eben noch gewesen war.

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