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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Felt fand es nicht. Er richtete sich auf, konzentrierte sich. Er konnte den Fluss nicht sehen, er konnte ihn nicht erfühlen   – aber hören müsste er ihn. Er hielt den Atem an und lauschte. Nur das Rauschen des Windes, das ewige Toben in den Wipfeln und leise und dumpf darunter sein eigener Herzschlag. Kein Plätschern, kein Glucksen. Kein Wasser. Aber ein Licht! Ein schwacher Schimmer nur, aber endlich ein Licht, endlich würde die Sonne aufgehen und er würde wieder sehen können. Rings um ihn war noch Finsternis und Felt wollte heraus aus dem Dunkel, also beschloss er, auf das Helle zuzugehen. Vielleicht, so entschuldigte er vor sich selbst die Aufgabe seines ursprünglichen Plans, vielleicht machte der Fluss eine Biegung, vielleicht war er deshalb hinausgestürzt, und es war völlig sinnlos, in der Richtung zu suchen, die er in seinem orientierungslosen Innern für die richtige hielt.
    Er ging also. Vor dem blassen Schein in der Ferne konnte er schwarz die breiten Stämme sehen und die scharf gezeichneten Konturen des Unterwuchses, jüngere, noch biegsame Bäume, die sich emporstreckten aus einem dunklen Meer aus Farnwedeln. Der Wald war weniger dicht, als er vermutet hatte, und bald schon war Felt heraus. Er trat auf eine Lichtung.
     
    Aber es war nicht das Licht der aufgehenden Sonne, das er gesehen hatte. Es war der Mond, der wie eine zerschlagene Münze am Himmel lag und so hell war wie nie nach der Düsternis, in der Felt gefangen gewesen war. Inmitten des milchigen, farblosen Scheins dieses Mondes saß der Wolf. Felt machte einen schnellen Schritt zurück zwischen die Stämme, das Knacken morschen Holzes war wie ein Donnerschlag. Das Tier drehteden großen Kopf, erhob sich, sah ihn, die roten Augen wie Laternen. Verstecken war zwecklos, Weglaufen erst recht. Felt musste sich dem Kampf stellen, er griff nach seinem Schwert.
    Und er griff ins Leere. Das konnte nicht sein! Er hatte Anda verloren. Aber wann denn? Wie denn? Wer rüstete sich gewissenhafter als er, wie hatte die Schnalle sich unbemerkt lösen können? Felt fasste sich an die Brust, die ihm eng geworden war vor Schreck   – und er fühlte seine Haut. Er schaute an sich herab, blasser Schein, er war vollkommen nackt. Es war ein Albtraum, ein furchtbarer und furchtbar wirklicher Albtraum, aber das war nicht die Wirklichkeit. Er war in ein seltsames Zwischenreich geraten, er glaubte nur, hier unbekleidet und waffenlos zu stehen, aber das war nicht so. Er war nicht aus dem Boot gefallen, er war eingeschlafen. Warum nur gelang es ihm nicht aufzuwachen?
    »Weil du nie wacher warst als gerade jetzt, Felt, Serleds Sohn.«
    Auch die tiefe Stimme, die in seinem Schädelinnern dröhnend widerhallte und Felt mit einer Furcht erfüllte, die er bisher nicht gekannt hatte, einer heißen, alles verzehrenden Furcht, war nicht die Stimme des Wolfs. Es war nur ein Traum. Der schlimmste, den er je gehabt hatte.
    »Suchst du wieder eine Ausflucht, Felt?«
    Häme. Felt reagierte nicht.
    »Versuchst du wieder, die Dinge von dir fernzuhalten? Von dir wegzuschieben? So, wie du es gern tust, kleiner Soldat?«
    Beißender Spott. Das ging ihn nicht an.
    »Keine Verantwortung übernehmen. Immer weg damit. So sind die Befehle, du hast deine Order, nicht wahr? Du musstest sie von dir stoßen, du hattest keine Wahl, nicht wahr?«
    Felt sog Luft ein. Hinter dem schattenhaften Umriss des großen Wolfs kam eine schlanke Gestalt hervor. Auch imfahlen Licht und auf diese Entfernung   – achtzig bis hundert Schritte   – hätte Felt sie unter Tausenden erkannt.
    »Estrid!«
    Sie legte dem Wolf die weiße, schmale Hand auf den Kopf, für einen Moment erloschen die Augenlichter und das tiefe, obszöne Aufstöhnen des Tiers traf Felt wie ein Schlag in den Magen.
    »Wie konntest du nur, Felt? Wie konntest du diese Frau verlassen?« Die Stimme war ein Brüllen im Kopf, ein Druck, ein Gefühl, als platzten die Adern hinter seinen Augen. »Solche Anmut, solche Stärke, solcher Stolz! Und solche Lust. Eine Königin   – meine Königin!«
    Der Wolf löste sich von Estrid, nicht ohne den Kopf noch einmal kurz zu ihr zu wenden, das Maul offen, hechelnd, die Reißzähne weiß, lang, länger als ihre Hand, die über die Schnauze strich und sich lecken ließ von ihm. Dann ging er langsam auf Felt zu, der nach wie vor angewurzelt am Waldrand stand. Den Kopf hielt der Wolf gesenkt und vorgestreckt auf langem Hals, Felt sah die Schulterblätter unter dem dichten Fell sich heben und

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