Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
Morgengrauen, kam Felt wieder zu sich.
    Er konnte sich kaum rühren, obwohl er sich nichts gebrochen hatte. Die linke Schulter war so arg gezerrt, dass es schon wehtat, wenn er nur die Finger bewegte. Er musste humpeln, weil er sich beim Herumschleudern die Hüfte geprellt hatte. Die Schmerzen in seinem neuen Schwertarm erfüllten Felt jedoch auch mit einer grimmigen Freude, denn er hatte Anda in der linken Hand genauso sicher geführt wie früher in der rechten. Er konnte es jetzt nicht überprüfen   – er konnte nicht einmal anständig die Gürtelschnalle schließen, geschweige denn ein Schwert ziehen –, aber es musste so sein. Und noch etwas wusste Felt sicher: Auch diese Fähigkeit hatte er aus Wiatraïn mitgebracht. Er hatte vorher mit rechts fechten können, nun konnte er es auch mit links. Diese Sorge war also unbegründet gewesen. Die um Babu leider nicht.
    Felt hatte sich zum Fluss geschleppt, getrunken und auf dem letzten Steinmilchkraut gekaut, das er noch bei sich hatte. Dabei hatte er weder Reva noch den Fluss oder das Tal aus den Augen gelassen und ständig darauf gelauscht, ob etwas Großes durchs Wasser lief. Ob ein toter Krebs andere Krebse anlockte? Es war denkbar. Dass diese Kreaturen nicht gerade kameradschaftlich mit ihresgleichen umgingen, das hatte Felt bereits aus dem Spalt heraus beobachtet.
    Aber Babu war ein Kamerad, etwas anderes konnte und wollte Felt nicht glauben. Nun, wo er weg war, musste Felt sichbewusst mit dieser Frage auseinandersetzen. Und er konnte sie für sich mit Ja beantworten. Ja, Babu gehörte zu ihnen. Den Jungen hatte etwas sehr bedrückt, mehr als nur die Dunkelheit der Höhle und die Masse an Stein. Ihn trieb etwas um und Felt hatte nicht danach gefragt, wie er es als der Ältere, als Kamerad, als Freund hätte tun müssen. Felt schüttelte nachdenklich seinen schmerzenden Kopf. Nein, sie waren keine Freunde, das gab es in dieser Welt nicht mehr. Aber dass Babu ihm geholfen hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, davon war Felt überzeugt.
    »Ich kann nicht glauben, dass Babu uns einfach so im Stich gelassen hat«, sagte er und Reva sah ihn aufmerksam an. »Erinnere dich an den Kampf mit den Wölfen: Da kannte er mich nicht einmal und hat mir dennoch das Leben gerettet. Er und der Falke, beide haben gekämpft. Mit mir, für mich. Und nun sind wir so weit gemeinsam gegangen, sogar unter die Erde ist er uns gefolgt, und dann lässt er uns im Stich, wenn es drauf ankommt?« Felt schüttelte wieder den Kopf, der vor dumpfen Schmerzen brummte. »Nein, Babu ist nicht einfach so weggelaufen. Ich weigere mich, das von ihm zu glauben.«
    Den letzten Satz hatte er beinahe so feierlich wie einen Eid gesprochen. Mit einem leisen Stöhnen stand Felt auf. Er wollte noch etwas sagen, schluckte es aber hinunter. Reva lächelte ihn an.
    »Du willst ihn suchen.«
    Felt nickte, den Blick gesenkt.
    »Es ist gut, Felt, wir suchen Babu. Ich bin froh, dass du so von ihm denkst und nicht anders. Wir gehen und suchen ihn. Was hat es für einen Sinn, zu den Quellen zu laufen und den Gefährten unterwegs im Stich zu lassen?«
20
    Felt wollte zurückgehen, denn er glaubte nicht, dass Babu während des Kampfes mit dem Krebs an ihm vorbeigelaufen war. Er musste in die andere Richtung gegangen sein, flussaufwärts. Aber wie befürchtet hatte der Kadaver andere Krebse angelockt   – der Schwanz war bereits geknackt und zwei ebenso riesige wie angriffslustige Ungetüme stritten sich um das Festmahl. Vielleicht wäre es geglückt, vielleicht waren sie abgelenkt genug, aber Felt wollte es nicht darauf ankommen lassen; dort konnten er und die Unda nicht vorbei.
    Es dauerte zwei Tage, bis sie einen Weg gefunden hatten, der sie wieder in das Gebiet zurückführte, in dem Felt Babu vermutete. Immer auf der Hut vor Riesenkrebsen, mit Schmerzen kämpfend und mittlerweile auch wieder hungernd, musste Felt all seinen Willen aufbringen, um an der Suche festzuhalten. Babu konnte inzwischen überall sein, dieser Irrgarten aus Schluchten und Klüften war groß wie ein eigenes Land. Aber ein Vogel konnte darüber hinwegfliegen. Ein Vogel konnte mit Leichtigkeit die tiefsten Abgründe überwinden. Und ein Vogel, der einen unermesslichen Abgrund wie den Berst überwinden konnte, für den waren die ungezählten Schluchten nur eine Gegend wie jede andere, die unter ihm dahinzog.
    Juhuts Schrei traf Felt bis ins Mark, und als er den Falken am Himmel sah, bekam er eine Ahnung davon, was Babu bei diesem Anblick

Weitere Kostenlose Bücher