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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Bruchteil Eurer Bildung hat! (Nebenbei: Trotz der klammen Kälte lässt mein Rückenleiden auf sich warten, das muss an der steten Bewegung liegen. Nun, wer über das Ausbleiben von Schmerzen dankbar ist, hat die besten Zeiten wahrhaft hinter sich.)
    Zurück zum Thema: Als wir die Pforte des Südens passierten und am Ostufer an Land gingen, war es Nacht. Wir marschierten dennoch gleich los, und bevor die Schleierfelder uns die Sicht nahmen, blickte ich noch einmal zurück über den Eldron. Was für ein majestätischer Fluss   – er glänzte wie ein silbernes Band im Licht des Mondes. Ich habe fast mein ganzes Leben an seinen Ufern verbracht und bin den Anblick gewohnt, aber ab und an wird mir bewusst, wie groß, wie mächtig und wie schön der Eldron wirklich ist. Er ist unser Vater; was wären wir ohne ihn? Kwother, Pramer, Seguren und, ja, auch die Welsen, wir sind seine Kinder. Vier Völker, ein Fluss … Verzeiht, ich schweife schon wieder ab. Ich blicke also zurück, südwärts, da treibt ein hellblau leuchtender Schaumfetzen in mein Blickfeld. Ich denke: Worte ziehen vorbei wie Wolken. Ganz genau so habe ich es gedacht! Und es ist weit weniger poetisch, als es sich nun lesen mag, denn ich wusste es, bevor ich es erkannte: Der Schaum war nicht irgendein Fetzen, sondern ein Wortfetzen. Dort, im dunklen, mondglänzenden Wasser des Eldrons schwamm eine Schrift. Ein Wort. Ein Stück von einem Wort. Nun frage ich Euch, Wigo von Pram: Wer von allen Wesen auf dem Kontinent würde so etwas tun? Ins Wasser schreiben? Wer könnte so etwas überhaupt?
    Undae.
    Es gibt keinen Zweifel, eine Unda muss am Eldron, nein, im Eldron gewesen sein. Seit wann verlassen die Undae ihre Grotte in den Randbergen? Was geht hier vor?
    Wigo, so wie Ihr Euch mit dem Dunklen und dem Feuer beschäftigt habt, so habe ich mich zeitlebens mit den Hohen Frauen beschäftigt. Ich möchte nicht eitel erscheinen, aber ich weiß zweifellos, dass es eine Unda gewesen sein muss, die in den Fluss geschrieben hat. Ich weiß die Bedeutung einiger weniger Symbole   – Ihr könnt Euch vielleicht denken, es ist ungeheuer schwierig, eine Schrift zu erlernen, die derart vergänglich ist und die auch gar nicht die Absicht hat, etwas festzuhalten. Eine Schrift, die nur Moment ist, beinahe nur Gefühl, nur Ahnung. Ich hatte bisher nur die Möglichkeit, das zu studieren, was an Aufzeichnungen anderer vorhanden ist, leider wahrlich nicht viel. Nun hatte ich das unfassbar große Glück, dieses letzte Bisschen einer echten Undae-Schrift zu erhaschen, und habe   – so gut es eben ging auf die Schnelle   – im Mondlicht eine Zeichnung angefertigt. Sobald ich in Gaspen bin und meine Bücher habe, kann ich möglicherweise mehr herausfinden.
    Für heute muss ich schließen, ich bin erschöpft. Dennoch: Undae! Das ist … nicht zu fassen. Wisst Ihr etwas darüber? Sind sie wieder in der Welt? Ach, dass ich von allem so abgeschnitten bin!
    Ich mache mir Sorgen, gebt gut auf Euch acht, Wigo, und seid vielmals gegrüßt von Eurem getreuen

    Helgend von Gaspen

    Wigo, eines ist mir noch wichtig: Ihr müsst bitte meine Geschwätzigkeit entschuldigen, erstens bin ich wirklich ein alter Mann geworden   – das wurde mir auf dieser Reise klar   – und zweitens habe ich niemanden, mit dem ich meine Eindrücke und Sorgen teilen kann. Ist Euch eigentlich bewusst, wie viele unserer Gelehrten bei Euch in Pram weilen, in der Hama Enfra? Nun, wo Agen verschlossen ist, wo ich nicht zur Bibliothek und zu unserer Hama Lantra durchdringen kann, wo jedes Gespräch, wo alle Korrespondenz zum Erliegen kommt, fühle ich mich manchmal wie der letzte freie Denker meines Landes, und das ist kein schönes Gefühl, wahrlich nicht.

SECHS
AUF VERFEINDETEN SEITEN
1
    Der Hieb hatte Marken weder den Kopf abgeschlagen noch die Schläfe zertrümmert. Aber er war viele Stunden lang bewusstlos gewesen, und als er wieder zu sich kam, war es bereits Nacht. Ihm war sofort klar, dass die Dhurmmets ihn nicht aus Mitgefühl am Leben gelassen hatten, das kannten diese Kreaturen nicht, sondern weil das ihr Befehl war. Es reichte außerdem, ihn gerade so am Leben zu lassen, um diesem Befehl Folge zu leisten. Markens schlimme Gesichtshälfte fühlte sich geschwollen und heiß an   – eine Entzündung. Der Schein eines Lagerfeuers brach sich zu einem explodierenden Glutball in seinen tränenverschleierten Augen. Was war mit Smirn?
    Er konnte sie nicht sehen. Spürte ihre Kühle nicht.
    »Smirn?« Marken

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