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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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standen eins nach dem anderen still, der breite Fächer des Schwanzendes schob sich unter den Körper. Der Krebs würde Felt bei seiner Rückwärtsrolle abschütteln   – todsicher. Felt hatte bereits jetzt kaum noch Kraft, um sich festzuhalten. Er würde Anda loslassen, ob er wollte oder nicht. Er hatte keine Angst, aber er war noch niemals in seinem Leben so wütend gewesen. Felt wollte diesen Kampf nicht verlieren und war gleichwohl gerade dabei. Und wenn er das Schwert jetzt herauszöge, sich ins Wasser fallen ließe? Auch das ging nicht, er konnte nichtziehen, er hing, Füße in der Luft, linke Hand am Schwertgriff, rechte unbrauchbar. Jetzt war es so weit, jetzt war der Schwanz eingerollt. Felt biss die Zähne zusammen.
    Es knackte. Ein gewaltiger Ruck ging durch das Krebsungeheuer. Aber es folgte keine Rolle rückwärts, kein Herumschleudern. Felt holte tief Luft, bemerkte erst jetzt, dass er den Atem angehalten hatte. Er sah hinab. Die Laufbeine des Krebses waren seitlich aufgestellt, bewegten sich aber nicht. Zwischen ihnen war Eis. Der Fluss war zugefroren und hielt den Krebs fest.
    Vorsichtig stellte Felt die Stiefel auf ein abgespreiztes Krebsbein, stemmte sich hoch und erklomm den Rücken. Er zog Anda heraus. Felt spürte, wie der ganze riesenhafte Krebs vibrierte im Versuch, sich aus der eisigen Klammer zu befreien. Die langen Fühler peitschten hin und her, der Beinstumpf, kürzer und deshalb nicht eingefroren, ruderte wie wild. Die Scheren waren, ebenso wie Beine und Schwanz, im erstarrten Fluss gefangen, aber die schwarz glänzenden Stielaugen drehten sich unabhängig voneinander in alle Richtungen. Jetzt bekamen sie Felt in den Blick und der hatte das Gefühl, die Bösartigkeit selbst schaue ihn an. Unbeirrt ging er darauf zu und weiter den Rücken hinauf. Weit vorn gab es eine Wulst und Felt vermutete, dass dort so etwas wie der Nacken des Krebses sein musste, wo Kopf und Rumpf zusammengewachsen waren. Dort musste er zustechen. Ein Fühler schlug Felt gegen die Schulter, brachte ihn zu Fall. Felt stand wieder auf und hieb ihn ab. Die schwarzen Augen kreiselten. Zwischen ihnen hindurch sah Felt die Unda auf dem Eis stehen.
    Reva hatte den Kopf gesenkt, die Arme hocherhoben. Die Ärmel waren ihr in die Achseln gerutscht und die Narbenranken gleißten. Sie rührte sich nicht und Felt erkannte staunend: Die Hohe Frau konnte weit mehr als das Wasser lesen   – sie gebot darüber. Wie sie da auf dem gefrorenen Fluss stand, schmächtigund geradezu winzig klein vor dem Krebsmonster, strahlte sie eine Macht aus, die Felt fast ebenso erstarren ließ wie das Wasser. Es war, als habe jemand den Schirm einer Lampe weggenommen, und nun musste Felt unvorbereitet in ein helles Licht schauen. Geblendet hielt er inne. Dann endlich begriff er, was sie tat. Sie half. Sie rettete ihn.
    Reva hielt den Fluss fest, damit der den Krebs umklammern konnte. Felt hatte nicht die geringste Ahnung, welche Kraftanstrengung dazu nötig war, vermutete aber, dass sie gewaltig sein musste. Er zögerte nicht länger, er stach zu.
    Im selben Augenblick, in dem das Untier tot zusammenbrach, schmolz das Eis mit einem Schlag und Felt wurde durch eine schäumende kalte Welle von dem Kadaver gespült. Der Fluss, kurzzeitig ungestüm wie ein Pferd, das endlich aus dem Stall auf die Weide gelassen wird, trug Felt dieses Mal weiter weg. Aber schließlich kam er auf die Beine und lief zurück. Er umrundete den toten Krebs und war erleichtert, als er im abnehmenden Licht die zarte Gestalt der Unda erkannte.
    Reva stand am Ufer und blickte mit einem milden Lächeln auf das strömende Wasser. Sie sah müde aus, aber sonst konnte Felt nichts aus ihrem Gesicht herauslesen.
    »Er ist fort«, sagte sie mit ungewohnt belegter Stimme und Felt dachte erst, sie bringe eine ihm nicht ganz nachvollziehbare Trauer über den Tod der Kreatur zum Ausdruck.
    Aber sie meinte Babu.
    Weder der Merzer noch sein großer Vogel hatten Felt im Kampf mit dem Untier beigestanden. Sie waren verschwunden. Geflohen. Die Erkenntnis traf Felt härter als jeder Sturz und schlagartig breiteten sich in seinem gesamten Körper Schmerzen aus.

19
    Felt ruhte nicht, bis sie eine Höhle gefunden hatten, deren Zugang eng genug war, um eine gewisse Sicherheit zu bieten. Da war die Nacht bereits alt und kaum hatte Felt sich niedergelegt, war er schon in einen traumlosen Schlaf gefallen. Lange bewahrte der ihn aber nicht vor der Wirklichkeit   – nach wenigen Stunden, bereits im

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