Zwölf Wasser
fühlen mochte. Dort oben war Freiheit, war ein Wesen, das weit über alldem erhaben war, was hier am Boden kreuchte und fleuchte. Dass die Szasla sich überhaupt mit ihnen abgab, war kaum zu begreifen.
»Wo ist er?«, rief Felt in den Himmel hinauf, und weil ihmseine eigene Stimme Mut gab, rief er noch mal, so laut er konnte: »Wo ist Babu? Zeig mir, wo er ist, ich bitte dich!«
Als Antwort kam ein wieder markerschütternder Schrei, und die Sturheit, mit der Felt die Tage des Suchens überstanden hatte, schärfte sich innerhalb weniger Atemzüge zu Angst. Was war mit dem Jungen geschehen? Er drehte sich zu Reva um, deren Augen sich sorgenvoll verdunkelt hatten. Sie nickte ihm jedoch zu, und noch während er wieder nach oben zum Falken sah, begann Felt zu rennen.
Sie fanden Babu schließlich in der Höhlung einer steilen Felswand, in die er sich wie ein sterbendes Tier zurückgezogen hatte. Felt hätte ihn ohne Juhuts Hilfe dort niemals entdeckt, er wäre an dem hinter einem herabgestürzten Felsblock verborgenen Hohlraum vorbeigelaufen. Dass ausgerechnet Babu sich derart in eine enge Steinkammer einsperrte, war besorgniserregend genug. Sein Zustand aber war weit schlimmer: Er lag auf dem Rücken, war völlig unterkühlt und die langen Haare waren verkrustet von Blut. Auch über Babus junges, ernstes Gesicht waren Ströme von Blut geflossen – bis hinunter auf seine Brust. Das lederne Hemd und die Weste waren fast schwarz, Blutspritzer bedeckten sogar den Stein ringsum. Das Furchtbarste aber war, dass auch Babus Hände voller Blut waren. Diese Hände zitterten schwach; eine hielt den Zweispat, die andere den Dolch. Fassungslos musste Felt erkennen, dass Babu sich seine Verletzungen selbst zugefügt hatte. Warum denn bloß?
Babus Augen rollten zu Felt. Als der ihn ansprach, gab er einen unartikulierten Laut von sich und versuchte, mit dem Dolch nach Felt zu stechen. Aber Babu war vollkommen entkräftet, er hatte Unmengen an Blut verloren.
»Was tust du denn?«, brüllte Felt ihn an und bemerkte nicht,dass ihm selbst Tränen in den Augen standen. »Was tust du denn hier, Babu, was tust du dir an?«
Er schlug ihm den Dolch aus der Hand, zerrte ihn an den Schultern aus der engen Höhle. Wieder gab Babu einen Laut von sich, ein unwilliges Knurren. Durch die Bewegung begann die Blutung aufs Neue. Aus einer klaffenden Wunde auf Babus Stirn floss ihm das Blut über den Nasenrücken in die Augen, er schloss sie. Felt sah genauer hin und schreckte zurück, denn auf einmal war da ein drittes, großes Auge. Im tiefen, blutgefüllten Schnitt auf Babus Stirn lag etwas Schwarzglänzendes und starrte Felt an. Wie gebannt starrte Felt zurück, konnte sich nicht rühren. Da ging Reva dazwischen, legte dem Verletzten eine schmale, kühle Hand auf die Stirn, stoppte die Blutung – und bedeckte das schwarze, hasserfüllte Auge.
»Such das Stirnband, Felt. Oder etwas anderes, um ihn zu verbinden. Und eil dich. Er stirbt.«
Am Rande der Schleierfelder,
Parsten im Solder 107 tergde
Gelehrter Freund –
es gibt auf dieser Seite keinen Treidelpfad wie am Westufer des Eldrons, aber das macht nichts, denn auf dem kurzen Gras lässt es sich gut laufen – die jungen Burschen ziehen die Boote und wir Reisenden trotten hintendrein. Schrieb ich, es sei eintönig, durch die Verlorenen zu staken? Nun, das war noch aufregend im Gegensatz zu diesem elenden Marsch am Rande der Schleierfelder. Ich versuche seit Tagen, einen Streit anzufangen, um mich bei Laune zu halten, aber niemand will auf meine Sticheleien einsteigen. Alle sind wie betäubt von der feuchten, dicken Luft. Man kann immer nur den Vordermann sehen und hört zur Linken den Fluss rauschen, die Welt ringsum ist im Nebel versunken. Das hat den Vorteil, dass man uns vom Westufer nicht sehen kann; denn ich nehme an, es wird bewacht. Aber vielleicht auch nicht? Vielleicht ist die Welt längst in den Berst gestürzt und alles hat ein Ende – hier könnte man es glauben …
Bevor die Trübsal mich vollkommen umfängt, muss ich Euch noch schreiben, dass die im letzten Brief erwähnten Schaumkleider des Eldrons mit ziemlicher Sicherheit nicht hier oder in den Verlorenen entstanden sind, sondern flussaufwärts. Bei Euch, Wigo? In Pram? Es ist nämlich nicht einfach nur irgendeine Verschmutzung oder ein anderes natürliches Phänomen, nein, ganz und gar nicht! Ich wünschte, ich könnte mich mit Euch austauschen – oder doch wenigstens mit jemandem, der einen
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