Zwölf Wasser
lenken wollte, und das war nichts anderes als Instinkt. Jedes Tier, das Junge zu beschützen hatte, hätte genauso gehandelt. Er wich der ersten nach ihm schnappenden Schere aus, ihre Masse machte sie doch etwas langsamer. Felt registrierte, dass auch dieser Krebs eine bevorzugte, größere Schere hatte. Er war nun sehr nah, Kopfende und Maul des hoch aufgerichteten Untiers waren ungefähr drei Mann über ihm, der Leib mit den Ansätzen der Beinpaare direkt vor ihm. Der Gestank nach Fäulnis war bestialisch – wovon mochte der Krebs sich ernähren, wenn er keine Jagd auf Menschen machte? Felt hastete nach rechts und zwischen den langen Laufbeinen hindurch. Dabei hieb er zu. Aber nicht kraftvoll genug, um das Bein gänzlich abzuschlagen, Anda blieb darin stecken. Felt ließ nicht los, packte die Griffstange auch mit der rechten Hand, mit Daumen und Zeigefinger. Er durfte Anda nicht verlieren. So riesig der Krebs auch war, er tat, was alle Krebse tun, die in Bedrängnis geraten: Er rollte seinen Schwanz unter den Körper und schleuderte sich zurück. Felt wusste nicht, wie ihm geschah. Es riss in der linken Schulter, ein Streifen Abendhimmel wischte durch sein Gesichtsfeld, dann prallte seine Hüfte auf Stein und über ihm schlug Wasser zusammen. Er ließ Anda nicht los. Er strampelte mit den Beinen.
Ich werde dir Schwimmen beibringen, ich bin eine sehr gute Lehrerin. Ja, Reva, das glaube ich gern, aber wir haben nie die Zeit dazu gefunden. Und nun ist es zu spät.
Felt spürte die ruhige Strömung des Flusses und kämpfte seine Panik nieder. Er hörte auf zu strampeln, ließ sich tragen, mitnehmen. Er kam an die Oberfläche, bekam Luft, bekam Halt an ein paar Pflanzen. Er stand im Schilf und sah den Krebs.
Bei der Rolle rückwärts war das untere Glied des Beins abgetrennt worden, der Stumpf machte tastende Bewegungen, als suche er Kontakt zum Boden und verstünde die Lücke nicht. Sonst stand der Krebs – bis auf die zuckenden langen Fühler – ganz still. Der Fluss hatte Felt ein gutes Stück getragen, er befand sich nun hinter dem Untier, dessen breiter Schwanz wie eine Rampe ins flache Uferwasser reichte. Brust und Kopf des Krebses waren zum länglichen Körper zusammengewachsen und unter dem harten Panzer war das verborgen, was Felt zerstören musste, wollte er siegen: Das sind seine Innereien, glaube ich. Vielleicht auch das Gehirn. Felt konnte noch mehr Beine abschlagen, konnte sich an die Scheren wagen, das würde nichts nützen. Das würde den Krebs nicht töten. Felts Tod hingegen würde immer wahrscheinlicher, je länger ein Kampf dauerte. Die Scheren müssten ihn nicht einmal packen, ein einziger Schlag würde genügen, um Felt alle Knochen im Leib zu zertrümmern. Sein Brustschutz würde wenig nützen, einen Helm hatte er nicht mehr. Er hatte nichts, nur diese eine Gelegenheit. Wieder rannte er los.
Er kam erstaunlich gut den Schwanz hoch, der zwar nass, aber dank der pickligen Auswüchse nicht rutschig war. Felt hatte es beinahe bis hinauf geschafft, als der Krebs reagierte undsich herumwarf. Damit hatte Felt gerechnet. Er machte einen Hechtsprung, wollte Anda dem Krebs so tief wie möglich in den Rückenschild rammen. Aber es gelang nicht. Obwohl es um Leben und Tod ging, obwohl er alle seine Kräfte mobilisiert hatte – es reichte nicht, Felts Verfassung war immer noch zu schlecht. Der Sprung war zu kurz, der Hieb war zu kraftlos. Das Schwert glitt am Panzer ab, hinterließ nur eine Schramme. Felt fluchte, brüllte, auch er rutschte nun vom sich aufbäumenden Körper des Riesenkrebses. Mit verzweifelter Wut und obwohl er erkannte, dass er seine einzige Chance vertan hatte, stach Felt im Fallen das Schwert in den Krebs. Es blieb stecken, Felt hielt sich fest. Dicht vorm Gesicht sah er zwei sich ineinanderschiebende Platten, begriff, dass er seitwärts am Krebs hing, dass das Schwert zwischen Schwanz und Körperpanzer steckte. Unter Felt bewegten sich hektisch die Laufbeine, trampelten das Schilf nieder und brachten das Flusswasser zum Brodeln. Die Scheren waren weit gespreizt und schnappten unaufhörlich auf und zu, aber mit ihnen konnte der Krebs den Stachel in seiner Seite nicht erreichen. Felt lachte laut auf, klammerte sich an sein Schwert. Jede Bewegung, die der Krebs machte, bohrte die Klinge in ihn hinein. Es gab für das Untier nur ein Mittel zur Gegenwehr. Felt wusste, dass es sehr schnell geschah, aber dennoch kam es ihm langsam vor und er sah jede Einzelheit: Die Laufbeine
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