Zwölf Wasser
hinterließ ein unvergleichlich frisches und sauberes Gefühl. Schwester Essig war nicht zimperlich und scheuteauch vor Markens intimsten Bereichen nicht zurück. Erst hatte er nicht die Kraft, sich zu schämen, und später war er darüber hinweg. So seltsam es war – sie so verhüllt und er so nackt –, es half, dass er ihr Gesicht nicht sah. Als sie durchs überfüllte Gem-Enedh geritten waren, noch vor der ersten Begegnung mit dem dämonischen Hauptmann Ormn, hatte Marken in viele furchtsame Frauengesichter geblickt, junge wie alte. Die kwothischen Frauen verbargen sich nicht – die schweigenden Schwestern schon. Sie entzogen sich Markens Blicken, seiner Deutung. Vielleicht war das der Sinn dieses Schleiers? Vielleicht sollte Marken nicht über seine Pflegerinnen spekulieren, über ihre Absichten oder Stimmungen, sondern seine ganze Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und dessen Heilung lenken. Er fügte sich. Schwester Essig tippte ihn mit dem Schwamm an, er hob einen Arm, beugte den Rücken, setzte einen Fuß auf – und sie ließ den Sud über ihn rinnen, rieb ihn ab mit ihrem Schwamm, wie man ein Pferd trocken reibt. Manchmal sang sie leise vor sich hin und Marken konnte hören, dass sie noch sehr jung war. Und dass Kwothisch einen durchaus angenehmen Klang haben konnte, wenn es von einem resoluten jungen Mädchen gesungen wurde.
Schwester Paste war viel behutsamer und immer ganz still. Sie strich mit Spateln Salben auf Markens Wunden. Es schien eine Kunst zu sein, aus einer Vielzahl von Tiegeln die richtige Salbe zu wählen, manchmal auch eine Kombination aus mehreren. Dabei folgte Schwester Paste nie einem bestimmten Schema, sondern richtete sich nach Markens Zustand; ihre ganze Art war sicher, aber nicht routiniert. Sie war achtsam. Markens Gesicht schenkte sie eine geradezu hingebungsvolle Aufmerksamkeit und die Wirkung war schon nach kurzer Zeit spürbar: Die Entzündung ging zurück, das vernarbende Gewebe wurde nachgiebiger. Marken konnte das linke Auge wieder öffnen undschließen und hatte auch das Gefühl, sein Mund wäre weniger schief – aber das blieb eine Vermutung, denn einen Spiegel bekam er nicht.
Den Abschluss der stundenlangen Behandlungen machte stets Schwester Buch. Sie hatte wahrscheinlich eine höhere Stellung als die beiden anderen, denn sie begutachtete mit ihren großen goldenen Augen sehr genau deren Tun und die Ergebnisse: Sie löste Verbände und hob Kompressen an, klopfte gegen Gelenke oder tastete Markens Bauch oder Gesicht ab. Schwester Buch hatte einige Wunden an Markens Rücken und Oberschenkeln genäht – er konnte sich nicht erinnern, wie er zu den Schnitten gekommen war – und nach ein paar Tagen wieder die Fäden gezogen. Dabei benutzte sie sehr filigrane, in weiße Tücher eingeschlagene Gerätschaften aus Silber und war so geschickt, dass Marken praktisch nichts spürte. Über den Heilungsverlauf machte sie sich Notizen in einem kleinen, in schwarzes Leder gebundenen Buch und Marken konnte den Blick kaum von ihrer dunklen Hand nehmen, wenn sie ihre winzigen, komplizierten Schriftzeichen schrieb. Die Unda flößte ihm zwar Respekt ein, aber sie blieb ihm auf eine Art fern. Sie war mehr als ein Mensch und Marken fand es ganz natürlich, dass sie über ihm stand und daher unantastbar war. Diese Frauen hier, die schweigenden Schwestern, waren Menschen wie er. Aber sie hatten viel tiefere Kenntnisse. Was konnte Marken denn? Guten von schlechtem Stahl unterscheiden. Mit einem Schwert umgehen. Diese Frauen jedoch konnten heilen – im Gegensatz zu ihnen war Lomsted, Arzt der Welsen in Goradt, ein Schlächter. Marken war überzeugt: Die schweigenden Schwestern hätten auch Asta daran gehindert, in die andere Welt zu gehen. Vielleicht war alles doch nicht allein seine Schuld gewesen, sondern auch seine Unkenntnis und dazu die von Lomsted? Konnte man unschuldig schuldig werden? In derAbgeschiedenheit des Krankenzimmers, hinter dicken Mauern und schmalen, vergitterten Fenstern, schloss Marken Frieden mit seinem Körper, in dem so viel Leben steckte, dass er auch bei gröbster Misshandlung nicht starb und sich rasch erholte, sobald man sich um ihn sorgte.
Erst verstand Marken nicht, warum sich die schweigenden Schwestern derart um ihn, einen Gefangenen, kümmerten. Warum wurde er erst fast totgeprügelt, um dann mit viel Aufwand wiederhergestellt zu werden? Marken dachte lange darüber nach, er hatte genug Zeit. Aber wie er es auch drehte und
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