Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
aus ihrem Innern strahlte.
    Sie waren als einer von vielen Trupps von Dern geschickt worden, um ihr sicheres Geleit zu gewähren. Oder sie im Notfall zu befreien. Arghad kannte seinen Auftrag und wusste von der Hohen Frau. Aber als er sie sah, mitten in der Nacht, mitten im Kampfgetümmel, war er wie gebannt. Ihm kam es vor, als habe er bessere Augen bekommen, mehr Sehkraft, so klar erkennbar stand Smirn am entfernten Ende der Lichtung, auf der die Feinde gelagert hatten und nun das Gemetzel im Gange war. Über mehr als hundert Schritt konnte er jede Einzelheit ihres mit verschlungenen Narben geschmückten Gesichts ausmachen, aber angezogen wurde er ganz besonders von den Augen, hellen Monden über dunklem Wasser. Dann hörte er ihre Stimme. Die Lippen der Unda bewegten sich, aber wie war es möglich, dass ihre Worte auf diese Entfernung und über den Kampfeslärm hinweg laut wie Glockenschläge in seinen Ohren klangen? Er wusste es nicht. Er hörte es nur.
    Arghad, freier Sohn, rette dein Leben und flieh! Eil dich, aber merk dir meine Botschaft gut und gib sie weiter:
    Der Liebe entzweit, hat die Unbestechliche sich selbst gerichtet. Die Brücke ist eingestürzt und das Kostbarste ist unerreichbar geworden. Doch in dieser Ferne liegt als Trost die Sicherheit. Eine Frage bleibt: Ist Liebe sich selbst genug?
    Und Arghad eilte sich. Er rannte zu seinem Pferd, Äste schlugen ihm ins Gesicht, er stolperte, ging zu Boden und raffte sich wieder auf. Er hatte nicht das Gefühl, ein Feigling zu sein. Er hatte auch nicht das Gefühl, seine Kameraden zu verraten. Denn er hatte seine Kameraden vollkommen vergessen. Sein ganzes Denken wurde ausgefüllt von den Worten der Unda. Kein Ereignis, keine Begegnung war je so eindrücklich gewesen und er schwor sich, sein Leben in Zukunft ganz den Hohen Frauen zu widmen. Falls es eine Zukunft gab und falls er sie erleben sollte.
4
    Je weiter westlich sie nach Nord-Kwothien hineingelangten, desto geringer wurden die Spuren der Verwüstung. Die Reisenden um Utate hatten sich Dern und seinen Soldaten angeschlossen und unterwegs waren immer mehr Reiter dazugekommen. Auch der Führer der Nord-Kwother sammelte seine Männer. Einen Blick auf die Hohe Frau und die welsischen Schwertkämpfer zu werfen hob ihren Mut. Das tat not, denn sie waren nur wenige. Kersted wusste zwar, dass die sie begleitenden zwei- oder dreihundert Mann nur ein Bruchteil von Derns Streitkraft waren. Aber er befürchtete, mehr als fünf-, allerhöchstens achttausend Soldaten würde der Führer der Nord-Kwother nicht aufbringen können. Sie würden einen ehrenvollen Tod sterben   – aber sterben würden sie, wenn der Krieg wirklich ausbräche. Umso wichtiger war es, die Quelle rasch zu erreichen.
    Nord-Kwothien oder auch Dhermjet-Dhe, das Land zwischen den zwei Flüssen, war nur dünn besiedelt. Die größte Stadt, Gham-Sarandh, lag an der Küste. Die Stadt lebte vom Fischfang und dem Handel mit Irpen ganz im Süden des Kontinents. Von dort segelten die Ingrier die Küste entlang bis in dieBucht von Sarandh und brachten Waren aus dem bewaldeten Westen Seguriens. Der Weg übers Wasser war zwar nicht ungefährlich   – wo Güter transportiert werden, da gibt es auch Räuber   –, aber zwischen Kwothien und Ingrien lag die Marga. Die größte Wüste des Kontinents war unpassierbar; die bittersalzige Luft dort glühte über Tag und schien nachts im Mund zu gefrieren. Vielleicht hätten Welsen, abgehärtet durch die allsolderliche Durchquerung der Aschenlande, auch einen Weg durch die Marga gefunden. Die Ingrier aber hatten es nie versucht. Irpen war ganz dem offenen, weiten Ozean zugewandt und von hier kamen die fähigsten Seeleute der bekannten Welt   – es war für einen Irpener völlig undenkbar, durch eine Wüste zu marschieren, wenn es einen Seeweg daran vorbei gab, mochte der auch noch so lang und gefährlich sein.
    Es war Nendsing, die Kersted all dies über die Länder, Städte und Völker des Kontinents erzählte, während sie westwärts ritten. Eines Abends sagte sie, wenn sie die Sterne so sehe, müssten sie sich nun auf der Höhe von Goradt befinden und bald an die Schleife des Naryns gelangen, von wo aus sie mit dem Boot noch weiter nach Westen reisen würden.
    »Auf der Höhe von Goradt? Wie das?«, fragte Kersted.
    »Nicht Höhe im Sinne von hoch«, lachte Nendsing und zeichnete mit dem Finger eine horizontale Linie in die Luft. »Sondern auf einer Karte auf gleicher Höhe. Mit ein paar Umwegen bist du

Weitere Kostenlose Bücher