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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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wendete, am Ende kam er immer zu demselben Schluss: Er wurde geheilt, damit er getötet werden konnte. Er sollte nicht einfach so wegsterben. Sein Körper sollte kräftig sein und sein Wille stark. Und er sollte am Leben hängen, wenn es ihn verließ. Er würde mit Leib und Seele leiden.
    Immer noch hielt er mühsam an dem Gedanken fest, dass Smirn wohlauf war, weil auch er noch lebte. Sie war wertvoller als er, und wenn man ihm solche Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, dann einer Hohen Frau erst recht. Oder? Der Schatten seines eigenen bevorstehenden Todes warf auch einen Schatten auf Smirn. Er war sich nicht mehr sicher, dass es ihr gut ging. Die Furcht, sie niemals wiederzusehen, nistete sich in ihm ein wie ein Parasit, gegen den selbst die kühnsten Behandlungsmethoden der schweigenden Schwestern nutzlos gewesen wären.
    Marken hatte Strommed nicht vergessen, den Anblick seines großen Herzens in der gespaltenen Brust. Er hatte Ormn nicht vergessen und nicht die Dhurmmets, die ihren nord-kwothischen Landsmännern die Köpfe abschlugen. Er erinnerte sich auch noch gut an die Toten auf den Stangen, abgenagte Gerippe, die sich gegenseitig stützten. Wenn Markens Zeit gekommen wäre, würde niemand ihn stützen. Er würde allein sein.

7
    Als sie das zweite Mal auf den Naryn trafen, hatte der Fluss genau den Charakter, den Utate beschrieben hatte: ruhig, gelassen und friedlich. Sie waren der weit nach Norden bis an die ersten Ausläufer der Galaten reichenden Schleife des Naryns nicht gefolgt, sondern auf direktem Wege westwärts geritten. Nun hatten sie die Flussbiegung erreicht, nun würden sie sich trennen. Utate wollte noch weiter flussabwärts, Dern und seine Soldaten mussten so schnell wie möglich zurück nach Gham-Sarandh.
    Der Führer der Nord-Kwother und die Unda hatten während ihres gemeinsamen Ritts lange Gespräche geführt. Kersted hatte sich einige Male gefragt, worüber sie wohl redeten, aber im Grunde ahnte er es. Die Unda und der Mann, der Unterdrückung und Gewalt hatte beenden wollen und nun in den Krieg zog, sprachen über letzte Dinge. Sie besprachen, wenn schon nicht das Ende der Welt, so doch das Ende Kwothiens, wie es nun war. Utate war sehr ernst und Dern wirkte gefasst   – was Kersted beeindruckte, denn seine Soldaten hatten ansonsten einen lauten, ruppigen Umgangston. Erst hatte Kersted geglaubt, sie würden ununterbrochen streiten, und war verwundert über diese Disziplinlosigkeit. Dann war ihm klar geworden, dass dies einfach eine andere Art war als die der schweigsamen Welsen. Am Berg war das Sprechen wegen des steten Winds oft anstrengend und der Hunger gebot jedem, die eigenen Kräfte zu schonen. Hier hingegen konnte man es sich erlauben, hitzköpfig zu sein. Das Pfeifen war nun ganz aus Kersteds Ohren verschwunden und er begann, aus den rauen, kehligen Lauten einzelne Worte herauszuhören. Vielleicht, wenn mehr Zeit gewesen wäre, vielleicht hätte er sogar Kwothisch lernen können   – vielleicht hatte er ja ein verborgenes Talent für Sprachen? Er würde es kaum herausfinden können. Ein Blick auf den Führer derNord-Kwother genügte, um die Last zu sehen, die ihm auf den Schultern saß: der unausweichliche Krieg. Dern wirkte so ruhig und friedvoll, wie der Fluss es hier war. Aber Kersted hatte es gesehen: An anderer Stelle war eben dieser Fluss zutiefst verwundet. Wie ungewohnt es war, einen Überblick zu haben, mehr zu wissen als das, was unmittelbar vor einem lag. Es nahm einem die Leichtherzigkeit.
    Kersted wäre aber nicht Kersted gewesen, wenn ihn diese Erkenntnis davon abgehalten hätte, sein Glück zu packen und festzuhalten   – solange es noch ging. Der ersten Liebesnacht waren weitere gefolgt, zwar nicht wärmer, aber inniger. Er begann zu hoffen, dass Nendsing ihn auch liebte. Oder doch wenigstens etwas für ihn empfand, das über ein rein körperliches Begehren hinausging. Kersted hatte ihr längst seine Liebe gestanden. Darin war er nicht ungeübt und er wusste auch, dass ein solches Geständnis immer eine positive Wirkung auf Frauen hatte; es machte sie zugänglicher, nachsichtiger. Auf Nendsing allerdings schien es keinen besonderen Effekt zu haben. Nachdem er sich erklärt hatte, war sie zunächst stumm geblieben. Dann hatte sie kaum sichtbar gelächelt und war sich mit den Fingern durch die Haare gefahren, um sie zu ordnen. Kersted hatte auf eine Erwiderung gewartet, aber sie blieb aus. Nendsing verhielt sich über Tag nicht anders als zuvor   – sie

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