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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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ziemlich genau von Ost nach West gereist.«
    Und habe unterwegs fast alle Männer verloren, dachte Kersted. Aber er sagte nichts, sondern lächelte nur. Nendsing war an diesem Abend so gut gelaunt, beinahe fröhlich, da wollte er ihre Stimmung nicht verderben. Sie hatten gut gegessen   – Glaron wurde von den kwothischen Soldaten geradezu verehrt und man hatte das Gefühl, je mehr Münder er zu füttern hatte, desto größer wurde seine Freude. Und es gab wenig Anlass zur Freudein diesen Zeiten. Aber dass sie nun in einer größeren Gemeinschaft mit den Kwothern ritten, erleichterte auch Kersted   – er konnte Verantwortung abgeben, er musste nicht mehr Wache halten, sich nicht um die Verpflegung sorgen. Und er musste nicht eine zerrissene, leere Landschaft ertragen. Es gab noch Leben, es gab noch Menschen auf dem Kontinent und nicht alle waren einander feindlich gesinnt. Wenn man den Anlass der Reise verdrängte   – und Kersted war gut darin, Unangenehmes beiseitezuschieben   –, dann konnte man sich an diesem wunderschönen, fruchtbaren Land erfreuen und daran, dass Welsen gemeinsam mit Kwothern, einer Segurin und einem pramschen Koch ritten und eine Hohe Frau begleiteten. Ein Steppenläufer und ein übergroßer Raubvogel zählten auch noch zur Gemeinschaft, aber die hielten sich immer abseits. Auch wenn Kersted es ungern zugegeben hätte, der Läufer kam ihm allerhöchstens halbmenschlich vor.
    »Erzähl mir doch noch etwas über die Steppenläufer, kleine Nen «, neckte Kersted. Nendsing reagierte immer etwas aufgebracht, wenn Kersted sie so nannte, aber auf eine Art gefiel es ihr auch. Außerdem war sie, ganz besonders im Vergleich zu dem Welsen, tatsächlich klein. Ihr Wissen und ihre Klugheit waren dafür umso größer.
    »Ganz früher hat man die Steppenläufer gejagt, wegen ihrer Haut, die ist einzigartig dick und haltbar«, sagte sie ungerührt.
    »Wie bitte? Man hat ihnen die Haut abgezogen? Wer macht denn so was?«
    »Kwother, Pramer, Seguren … Menschen . Man hat die Steppenläufer einfach nicht als Menschen angesehen. So konnte man sie wie Tiere jagen. Die Läufer sind zu schnell, zu stark, zu … wild. Sie sind nicht wie wir . Sie sind anders. Gründen keine Familien, bauen keine Städte, haben keinen Besitz, bestellen keine Felder. Sie schreiben keine Bücher und spielen keineMusik. Was also unterscheidet sie von Tieren? Was macht den Menschen denn zum Menschen?«
    »Dass er sich selbst als Mensch sieht? Dass er sich und seine Möglichkeiten erkennt   – und dass er erkennt, wenn ein anderer Mensch ihm gegenübersteht?«
    Kersted sah verstohlen zu dem Mann, der außerhalb des Lichtkreises der Lagerfeuer am Boden hockte, die Ellbogen auf die muskulösen Oberschenkel gestützt. Nendsing hatte Kersted bei seinem eigenen Vorurteil gepackt und er war froh, dass sie nicht darauf herumritt. Sie musste seine Gedanken erraten, seine Blicke gedeutet haben, das spürte er.
    »Kein Wunder, dass sie sich unter solchen Umständen von anderen Menschen fernhalten«, sagte Kersted schließlich. »Was hat sie eigentlich dazu gebracht, damals in der Feuerschlacht zu kämpfen, gemeinsam mit Pramern und Kwothern?«
    Nendsing zuckte die Schultern.
    »Es gibt die unterschiedlichsten Vermutungen über die Beweggründe der Steppenläufer. Wie so vieles rund um die Feuerschlacht liegt auch das im Dunkel der Geschichte. Chroniken kann man schönen, auch im Nachhinein. Wigo beispielsweise hat viel geforscht   – und wenig gefunden, soweit ich weiß. Für einen Nicht-Seguren ist er wirklich sehr ehrgeizig und sehr beharrlich …« Sie legte den Kopf in den Nacken. »Ich würde gern noch ein wenig die Sterne betrachten, aber ohne den störenden Feuerschein hier. Begleitest du mich?«
5
    Obwohl das Klima der Ebenen Nord-Kwothiens unvergleichlich viel milder war als das am Berg, wurden auch hier die Nächte inzwischen kühl. Der Firsten kündigte sich an. Ob es indieser Gegend auch schneite? Eine traurige Sehnsucht umfasste Kersteds Herz; er hatte den Schnee und die Kälte wahrlich nicht geliebt, aber ohne sie war ein Leben auch nicht recht vorstellbar. Kersted musste es sich eingestehen: Er hatte Heimweh.
    »Worüber schüttelst du den Kopf?«, fragte ihn Nendsing. Sie hatte sich fest in ihr großes Tuch gewickelt und den Blick auf den Boden gerichtet. Sie konnte seine Geste nicht bemerkt haben. Die Nacht war dunkel, der Mond nur eine schmale Sichel und man musste auf seine Schritte achtgeben   – aber Nendsings

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