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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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ritt neben Kersted, sie sprach mit ihm. Aber sie sprach genauso mit Glaron, ging ihm manchmal zur Hand, und sie redete auch mit dem zurückhaltenden Fander. Das passte Kersted noch weniger als vorher; er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Fanders Benehmen war vorbildlich wie immer, ganz so, wie man es von einem Soldaten der Wache erwarten durfte. Er kümmerte sich um Pferde und Sattelzeug, nahm kleine Ausbesserungen an Rüstung und Kleidung vor und blieb aufmerksam, obwohl auch ihm das Wachehalten abgenommen worden war. Und natürlich war ihmnicht entgangen, was sich zwischen Nendsing und Kersted abspielte   – jeder wusste es und Kersted hatte nichts dagegen, ganz und gar nicht. Dass Nendsing ihrerseits aber ein Bekenntnis vermied, sowohl ihm gegenüber als auch vor allen anderen, das wurmte Kersted. Er konnte es nicht ändern, er musste geduldig sein und das genießen, was Nendsing ihm nun Nacht für Nacht zugestand. Er genoss es sehr.
8
    Sie waren auf dem Rückweg zum Lager und Nendsing hatte zu Kersteds stiller Freude ihre Hand in seine geschoben, als sie auf den Läufer trafen. Nendsing erschrak so sehr, dass sie aufschrie, und sogar als sie erkannt hatte, wer da zwischen den Büschen stand, hielt sie Kersteds Finger weiterhin umklammert. Er hatte nicht einmal nach seinem Schwert greifen können und ärgerte sich mehr über seine Unaufmerksamkeit als über den Szasran, der ihnen regelrecht aufgelauert hatte. Die wie mit grauem Staub bedeckte Haut des Läufers verwischte vor der Nacht; selbst Nendsing mit ihrem scharfen Blick hatte ihn erst sehen können, als er unmittelbar vor ihr stand. Vielleicht waren die Steppenläufer gar nicht vom Angesicht des Kontinents verschwunden, sondern mehr und mehr mit ihm verschmolzen und so für menschliche Augen unsichtbar geworden. Nendsings Schreck hatte Kersted aber auch verraten, dass der Läufer ihr ebenfalls nicht geheuer war   – sie hatte Kersted sein Vorurteil vor Augen geführt, war jedoch selbst nicht frei davon. Einen langen Moment standen sie sich schweigend gegenüber. Der Läufer war ebenso groß wie Kersted, aber viel schmaler als der Welse. Zudem war seine Brust leicht vorgewölbt und seine Arme nicht so kräftig wie die des Schwertkämpfers, deshalb wirkte er auf denersten Blick kleiner. Auf den zweiten fielen dann die langen, starken Beine ins Auge. Unter der grauen, dicken Haut zuckten die Muskeln wie bei einem Pferd. Kersted glaubte in dem Dolch, den der Läufer um einen Schenkel gebunden trug, Welsenhandwerk zu erkennen. Um sicher zu sein, hätte der andere die Waffe aber ziehen müssen, und das wollte Kersted auf keinen Fall. Er dachte an Marken, der sofort und auch bei diesem Licht gewusst hätte, ob der Dolch aus den Werkstätten am Berg stammte. Der Gedanke an den Kameraden ließ den letzten Rest entspannter Unbekümmertheit verschwinden, die dem Zusammensein mit Nendsing immer folgte. Wie mochte es Smirn und Marken ergangen sein? Waren sie endlich bei der Quelle angelangt? Bisher hatten sie keine Meldung erhalten; keiner der Trupps, die Dern ausgeschickt hatte, war zurückgekehrt. Kersted hatte sich aber damit beruhigt, dass ihre Gruppe sich ja westwärts und somit beständig von der Quelle des Naryns wegbewegte. Jede Nachricht hatte also einen immer weiteren Weg zu machen. Es war abzusehen, dass sie ins Boot steigen und flussabwärts fahren würden, ohne etwas über Marken und Smirn zu erfahren.
    »Was ist?«, fragte Nendsing. »Wollen wir weitergehen? Mir wird kalt.«
    Ihre Stimme war frostig. So gut kannte Kersted sie mittlerweile, dass er wusste, sie nahm dem Läufer den Schreck übel. Sie hatte ihren Argwohn ihm gegenüber nicht ganz verbergen können und das war ihr unangenehm. Es erschien ihr unzivilisiert.
    Der Läufer hob die Hand und beugte sich leicht vor   – eine seltsame Mischung aus Befehl und Bitte, nicht wegzugehen.
    »Was willst du?«
    Kersteds knappe Frage war bar jeder Regung. Er war ein Welsenoffizier, wenn es darauf ankam, konnte er seine Gefühle und Sorgen für sich behalten.
    Der Läufer beugte sich zur Antwort noch tiefer, hielt die Handfläche aber weiterhin gegen Kersted und Nendsing ausgestreckt. Welche Sprache sprach er überhaupt? Verstand er denn, was sie sagten? Kersted wollte es aufgeben und einfach an ihm vorbeigehen, doch da rauschte der große Falke heran; wie ein Stein war er aus dem Nachthimmel gefallen. Die Szasla spreizte die mächtigen Schwingen, der Luftzug schlug ihnen ins Gesicht. Die

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