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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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blickte sich gehetzt um, als würde er verfolgt. »Begleiter? Herr, ich habe nur sie gesehen, keine anderen. Nur die Hohe Frau. Sie lebte, sie war unversehrt. Sie hat … gestrahlt. Sie war … schön. Und sie hat zu mir gesprochen … zu mir !«
    Hätte Dern nicht selbst in den vergangenen Tagen immer wieder die Wirkung einer Unda auf sein Gemüt gespürt, er hätte geglaubt, der Irrsinn habe den erschöpften, verdreckten Soldaten befallen. Aber er war nur zutiefst beeindruckt. Viel konnte Dern dennoch nicht mit ihm anfangen, eine weitere Befragung war zwecklos.
    »Hört!«, rief er und stellte sich in die Steigbügel. »Männer, hört! Bald schon wird sich unser Schicksal erfüllen! Die große Endhemone hat diese Welt verlassen. Dieses Land und diese Zeit kennen keine Gerechtigkeit mehr: Nun beginnt der Krieg! Reiten wir! Reiten wir in den Tod!«
    Knapp dreihundert Kehlen antworteten ihm mit einem rauen, zornigen Ruf. Dann preschten der Führer der Nord-Kwother, den eine Hohe Frau Menschenkönig genannt hatte, und seine Gefolgsleute davon gen Gham-Sarandh.
    Zurück blieb ein Mann, kniend im Gras, dessen Denken leer war, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte, und ein Pferd, das sein Maul ruckartig aus dem kalten Wasser hob, als der erste Krampf ihm in die Eingeweide fuhr. Und zurück blieb auch eine Frage.
    Ist Liebe sich selbst genug ?
    Nach all den vielen hundert Menschenaltern hatte der Hüter der Quelle dieses Flusses seine Gefährtin verloren. War er sich selbst genug? Konnte Miwoghd die Einsamkeit ertragen, die ihn von nun an bis ans Ende aller Tage umfangen würde? Oder würde auch die Liebe endgültig aus dieser Welt verschwinden?
    Nicht einmal eine Unda konnte dies beantworten; Smirn hatte die Frage gestellt, ohne die Quelle erreicht zu haben. Auch den Naryn hatte sie nicht gesehen und nicht den lebendigen Beweis der Liebe, der Utates Besorgnis so weit schmälerte, dass sie den Fluss hinabfuhr anstatt hinauf: Nendsing und Kersted, den Welsen und die Segurin. Das unmögliche Paar, das nur eine Zeit wie diese hatte zusammenbringen können. Zu allen Zeiten jedoch war die Liebe rätselhaft und sie würde es bis in jede Zukunft hinein bleiben   – man konnte nach ihrem Wesen fragen, nach ihren Gründen oder Zielen. Man durfte bloß keine Antworten erwarten.
    Dass die Reise nun flussabwärts ging, beschäftigte Fander und warf eine Frage auf, die ihn seit Tagen umtrieb. Nun, als sie unter dem geblähten Segel auf den kurzen Wellen des Naryns dahinflogen, wollte er sie endlich stellen. Mit unsicheren Schritten   – er war die Bewegungen eines Schiffes nicht gewohnt, das Schwanken, das Verwinden im Holz   – ging er von achtern an den leeren Ruderplätzen im Rumpf vorbei bis zum Bug. Dort vorn, das Gesicht im Wind und den Blick starr geradeaus gerichtet, stand der Offizier; gesteuert wurde von den beiden Kwothern.
    Fander hatte schon als Knabe zur Wache gewollt; ein Grund dafür war Offizier Felt gewesen, dessen Disziplin er bewunderte und der ihm und vielen anderen immer wieder neuen Mut gemacht hatte, wenn er sich selbst bei grimmigstem Frost gegen den Wind lehnte und auf dem Wall der grauen Stadt weithin sichtbar seine Runden machte. Der Meister der Wache stellte keine Fragen, sondern tat seinen Dienst. Aber so viel Erfahrung, so viel Besonnenheit hatte Fander noch nicht, und am Beispiel von Offizier Kersted hatte er gelernt, dass Fragen zu stellen nicht unbedingt ein Gesichtsverlust sein musste. Er trat also zu Kersted und rief es in den Wind: »Herr Offizier, es gibt etwas, das ich einfach nicht verstehe. Ein Fluss hat eine Quelle   – von dort aus fließt er Richtung Meer, wo er endet. Wir fahren zum Meer, zum Ende. Ich frage mich nun: Wie sollen wir dort eine Quelle finden?«
16
    Wie er nach Jirdh gekommen war, so sollte er es auch wieder verlassen: Sie hatten Marken nackt auf ein Pferd gebunden und auf dem Weg zum Hafen hatte jeder Einwohner Jirdhs, jederFlüchtling aus Hal oder Gem-Enedh, jeder Dhurmmet, jeder einfache Soldat und jeder, der zufällig auf der Straße war, die ausdrückliche Erlaubnis, den feigen, bleichen Welsen zu schlagen, zu bespucken oder sonstwie zu besudeln. Nicht jeder machte von diesem Recht Gebrauch. Marken sah es nicht, aber in vielen Gesichtern stand neben der allgegenwärtigen Furcht vor dem Krieg auch Mitleid. Wer nicht schlug oder spuckte, musste achtgeben, dass kein Dhurmmet es bemerkte. Zu schnell wurde man dieser Tage verdächtigt, ein Aufrührer zu sein, wenn

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