Zwölf Wasser
als wir wie üblich – es kommt mir vor wie seit jeher – am Ufer entlangwanderten, die Boote mit unserem Gepäck im Schlepptau, erwischte uns mit einem Mal eine große Welle. Im Dunst haben wir sie nicht kommen sehen und waren gänzlich unvorbereitet, da rollte sie durch, durchnässte uns die Beinkleider, holte einige von den Füßen (auch mich). Es folgten noch einige kleinere Wellen, aber da waren wir aus unserem Trott aufgewacht und geflüchtet und sie erreichten uns nicht mehr. Ein Glück, dass unsere beiden Burschen geistesgegenwärtig genug waren, um die Leinen festzuhalten – stellt Euch vor, wir hätten die Boote mit allem darin verloren!
Ihr könnt Euch denken, dass ich, am Unterlauf des Eldrons lebend, wechselnde Pegelstände gewohnt bin. Wenn zu Beginn des Lenderns die beiden Aelgas anschwellen, insbesondere die Gelbe, gibt es des Öfteren Hochwasser in Gaspen. Das kann auch rasch gehen; binnen eines Tages steht das Wasser auf dem Pflaster im Hafenviertel. Aber solche Flutwellen von Schmelzwasser und Regengüssen sind doch etwas ganz anderes als jene Welle, die uns erwischte. Es war, als sei ein riesenhaftes, unsichtbares Schiff durch den Eldron gepflügt. Wir waren sehr erschrocken und ich musste mich erst fassen, bevor ich auf den wahren Grund kam: Es war wieder ein Erdbeben gewesen. Wir hatten es nicht direkt gespürt, sondern nur die Auswirkungen mitbekommen. Ich sage Euch, Wigo, hier unten im Süden ist einiges im Argen, und ich beginne mich vor dem Moment zu fürchten, wo die Nebelschleier zerreißen und ich sehen kann, was wirklich vorgeht.
Auf der anderen Seite leide ich nach wie vor unter meiner Isolation und ich bin sicher, Ihr könnt das nachfühlen. Selbst seid Ihr zwar kein Segure, aber Ihr kennt uns gut und wisst, wie sehr wir das Gespräch, den Austausch von Gedanken brauchen. Leider sind meine Mitreisenden allesamt zwar nicht unangenehme, aber doch recht einfache Leute und mehr an der nächsten Mahlzeit als an einer Diskussion interessiert. Und obwohl ich mich eigentlich für einen vorurteilsfreien Menschen halte, so will es mir einfach nicht gelingen, mich auch nur mit einem einzigen meiner Mitreisenden anzufreunden. Das finde ich höchst befremdlich – wir sind Tag und Nacht beisammen und dennoch bleibt jeder für sich. Insofern: Rückenleiden hin oder her, ich wünsche mich an meinen Schreibtisch und diese Briefe auf irgendeine Art und Weise auf dem Weg zu Euch! (Beziehungsweise zu Eurem Mittelsmann – warum tut Ihr nur immer so geheimnisvoll?) Nun, jedenfalls gäbe es mir das Gefühl, mit jemandem, den ich sehr schätze, in Verbindung zu ste hen. Derweil halte ich mich an der Sichtung der Wasserschrift fest. So wie Ihr, Wigo, mir in einem Eurer ersten Briefe gestanden habt, Ihr wolltet nur ein Mal die große Bibliothek von Agen besuchen, dann könntet Ihr ruhig sterben – erinnert Ihr Euch? –, so möchte ich nur ein Mal eine leibhaftige Unda sehen …
Den Welsen eine glückliche Lage zuzuschreiben wäre wohl etwas vermessen. Ich wage mir kaum vorzustellen, unter welch widrigen Umständen dieses Volk um sein Weiterbestehen kämpft. Aber wo sind seit Anbeginn die Undae anzutreffen? In Welsien! Ausgerechnet! Und seit über hundert Soldern durch die Asche vollends vom Rest des Kontinents getrennt. Wigo, ich schwöre Euch: Gäbe es nicht diese endlose Aschewüste, ich wäre zur Grotte gereist, und wäre es noch so mühsam gewesen, sich mit den Welsen abzugeben. Aber es gibt nun einmal die Aschenlande und es gab das große Feuer, das Welsien vernichtet hat …
Wigo, Furcht und Hoffnung halten sich dieser Tage die Waage in meinem Gemüt und ich kann diesen Zustand ganz einfach erklären: Ich weiß von jenem alles verschlingenden Feuer und bin wie Ihr inzwischen überzeugt, dass es wieder auflodern wird, denn die Macht dahinter ist noch nicht verloschen. Genauso weiß ich aber auch von den Undae und sehe Anzeichen, dass sie sich einmischen. Und: Mich hat eine große Welle erwischt. Mag auch ein Beben sie ausgelöst haben, gespürt habe ich vor allem die Kraft des Wassers.
Lebt wohl und seid in tiefer Freundschaft gegrüßt von Eurem
Helgend von Gaspen
So sehr ich mich beklage über diesen ewigen Fisch, so muss ich doch sagen: Der Eldron sorgt gut für seine Kinder. Die Burschen haben mit vereinten Kräften einen Bitterbarsch an Land gezogen. So etwas habt Ihr noch nicht gesehen, Wigo, das Biest ist beinlang!
SIEBEN
TELEIA UND IHRE SCHWESTERN
1
Eine
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