Zwölf Wasser
Ihr es kennt, wird enden, aber solange der Kontinent noch von Menschen bevölkert wird, muss Kwothien nicht gänzlich untergehen. Seht Euch Offizier Kersted an – hättet Ihr gedacht, dass einmal ein Welse und eine Segurin gemeinsam durch Eure Lande reisen? Hättet Ihr so etwas für möglich gehalten? Nun geschieht es. Dern, der Dämon rüttelt an uns allen. Lasst ihn nicht ein. Glaubt an Euch und Eure Sache. Der Tag, an dem Ihr fallen werdet, der Tag, an dem alle Freien Söhne fallen werden, wird ein denkwürdiger Tag sein. Es ist der Tag, an dem ihr eine neue Tradition begründet. Aber welche das sein wird, darüber habt nicht ihr zu entscheiden, sondern die, die nach euch kommen. Ihr seid zwar allein, aber nur, weil ihr die Ersten seid. Seht den Welsen an: Ihr müsst nicht in alle Ewigkeit allein bleiben. Seid gewiss, Menschenkönig, wahrer, geachteter, sterblicher Führer aller Kwother: Ihr habt eine treue Gefolgschaft, in diesem Leben und darüber hinaus. Und die Undae werden Euch nicht vergessen.«
14
Schwester Essig erschien bereits beim Morgengrauen, um ihn zu waschen, und war erstaunt, Marken an seinem Fenster ohne Aussicht stehen zu sehen. Sie konnte ja nicht ahnen, was es für Marken bedeutete, den Anbruch des Tages allein zu durchwachen, noch dazu in einem Krankenzimmer. Aber sie spürte die Veränderung, die mit Marken vor sich gegangen war. Sie sang besonders schön an diesem Morgen.
Von Schwester Paste wünschte Marken sich einen Spiegel. Erspielte es ihr vor, schaute in seine Handfläche, zupfte an seinen nicht vorhanden Haaren und klimperte mit den Lidern. Er entlockte ihr so zwar ein Glucksen, das Gewünschte aber bekam er nicht. Sie schüttelte nur stumm den Kopf und Marken sah das Bedauern in ihren sanften Bernsteinaugen. Er hätte sich selbst gern noch ein Mal gesehen, bevor er sich verlieren würde. Marken fühlte zwar die Narben, wenn er sein Gesicht betastete, aber er hatte keine rechte Vorstellung mehr von seinem Äußeren. Es wäre schon eine Hilfe gewesen, wenn Schwester Paste ihm beschrieben hätte, was sie sah – und wenn er sie hätte verstehen können. Wie alle Tage jedoch blieb sie stumm, und während sie ihm die Salben über Wange, Stirn und Hals strich, schloss Marken die Augen und versuchte, aus ihren Bewegungen sein Gesicht zu formen.
Nach dem Frühstück – wie üblich fleischgefüllte Brottaschen, ein Körnerbrei und der schwarze, bittersüße Sud, der alle Lebensgeister weckte und nach dem Marken inzwischen regelrecht süchtig war – halfen ihm wie am Vortag alle drei schweigenden Schwestern beim Ankleiden. Und wieder legten sie Marken seine komplette Rüstung an. Als dann die Wachen vortraten, um ihn hinauszugeleiten, sagte Schwester Buch:
»Marken.«
Sie sagte nur das, nur seinen Namen. Und es war viel mehr, viel besser als ein Spiegel. Marken legte die Faust aufs Herz und verbeugte sich vor ihr und den anderen Frauen. Sie kreuzten die Hände vor der Brust und neigten die Köpfe. Alle wussten, dass dies ein Abschied für immer war. Der Marken, der sich nun auf den Weg zum Dämonenkönig machte, konnte nicht mehr zurückkehren. Denn es würde ihn nicht mehr geben.
Für Markens endgültige Unterwerfung war ein Privatgemach nicht die angemessene Umgebung; die Wachen führten ihn inden Thronsaal. Nachdem er sein Leben lang mehr oder weniger abgeschieden am Berg seiner Arbeit nachgegangen war, durchschritt Marken nun den zweiten Raum dieser Art innerhalb nur eines Solders. Aber in Jirdh und unter Hardh ging es anders zu als in Pram. Mendrons Macht war durchaus spürbar gewesen, aber der Fürst strahlte eine Besonnenheit aus und sein Herrschaftsanspruch war so selbstverständlich wie die Tatsache, dass jeden Tag die Sonne aufgeht. Kandor ist derjenige, der uns gequält hat, Mendron ist ein gerechter Mann, dachte Marken, aber die Gerechtigkeit hat diese Welt verlassen. Die Selbstlosigkeit auch? War Sardes noch am Leben? Prams Quelle versiegte und in Jirdh war man bestimmt nicht traurig deswegen. Die Zukunft ist Feuer .
Das wurde in dieser Thronhalle jedem Besucher überdeutlich gemacht. Der Raum erinnerte Marken an die Totenhäuser der Nadhina-Mmet, nur dass er um ein Vielfaches größer war. Die Decke wurde von massigen Säulen getragen, am Boden brannte in langen Rinnen Feuer. Es gab keine Fenster und der rote Schein verbreitete eine gespenstische Atmosphäre. Die Rinnen waren so angelegt, dass man sich nur auf Umwegen dem Thron nähern konnte; man musste dem
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