Zwölf Wasser
von einem Dhurmmet. Während der ein paar raue und schnelle Sätze an seine beiden Kameraden richtete, stand Smirn reglos und unbeteiligt. Hatte sie ihn nicht gesehen?
»Smirn«, rief Marken halblaut.
Einer der Seeleute, ein junger Bursche, näherte sich der Hohen Frau, umkreiste sie mit tänzelnden Schritten, beugte sich vor, um unter die Kapuze zu lugen, und zog dann in übertriebener Manier eine Augenbraue hoch. Einige seiner Kameraden lachten. Offenbar konnten sie sich mit Smirn als Passagier schneller anfreunden. In Marken stieg Wut auf, er drehte seine Handgelenke. Aber die Fesseln lockerten sich kein bisschen.
»Smirn!«, rief er wieder, diesmal lauter.
Der junge Bursche bemerkte Markens hilflose Wut, was ihn zusätzlich anstachelte. Seine Kreise um Smirn wurden enger, er schnalzte mit der Zunge und vollführte Hüftstöße im Takt seiner Schritte. Die Seeleute johlten. Vom Übermut gepackt, griff er nach der Hohen Frau, drückte sie an sich und machte mit ihr ein paar unbeholfene Tanzschritte – dann stieß er sie von sich, als habe er sich verbrannt. Marken lächelte finster; so deutlich hatte der Bursche die kühle Zurückweisung einer Frau sicher nie zuvor gespürt. Smirn taumelte und stand dann wieder ganz still, als ginge sie das alles nichts an, als habe sie es nicht einmal mitbekommen. Der junge Seemann rieb sich Arme und Hände und begann lauthals zu schimpfen. Ein heiserer Befehl ließ ihn augenblicklich verstummen. Der Dämonenkönig hatte seinen Blick aus der Ferne geholt und aufs Schiff gesenkt. Unmittelbar spürte Marken die Hitze auf seiner Haut. Er stöhnte, nahm das denn nie ein Ende. In der vorgereckten Faust des Königs glitzerte etwas. War das wirklich …? Markens Augen sprangen zu Smirn und wieder zu Hardhs Faust. Der öffnete seine Hand – und tatsächlich: Darin lag die Phiole der Unda, gefüllt mit dem Wasser des Sees ihrer kühlen Grotte nahe Goradt. Dieses Wasser war die Essenz allen Wassers. Sie hatten es zu den Anfängen, zu den Quellen tragen wollen. Markens Magen krampfte. Wie vollständig sie gescheitert waren!
Hardh lächelte, als er die Phiole langsam aus der Hand gleiten ließ. Marken hielt den Atem an, hatte die Augen weit aufgerissen.
Sie überstand den Fall. Hell klirrend hüpfte das kleine Glasgefäß über die Steine. Den Blick weiterhin auf Marken gerichtet, zog Hardh mit einem Ruck an den Zügeln. Erschrocken bog das Pferd den schönen Hals, legte die Ohren an und stieg zum Protest gegen die rohe Behandlung kurz auf die Hinterläufe. Als die Hufe wieder auf den Boden schlugen, zersprang unter dem Gewicht von Ross und Reiter die kostbare Phiole in tausend funkelnde Splitter.
Ohne sich weiter aufzuhalten, ohne sich weiter an Markens Entsetzen zu weiden, wendete Hardh sein Pferd und trabte los, seine Eskorte folgte ihm. Die Dhurmmets, die noch an Bord waren, eilten sich, um hinterherzukommen. Und als wäre die ganze Streiterei nur ein lästiges, aber notwendiges Ritual gewesen, machten die Seeleute das Schiff nun klar zum Ablegen. In der plötzlich ausgebrochenen Betriebsamkeit an Bord versuchte Marken, zu Smirn zu kriechen. Erst bekam er einen Tritt, weil er im Weg war. Dann packten ihn gleich vier Männer und warfen ihn wie einen Sack Mehl zwischen die Ladung aus Fässern und Kisten. Irgendjemand schob auch Smirn dorthin, räumte sie weg wie einen Gegenstand. Die Kapuze war Smirn vom Kopf gerutscht und nun fiel auch Marken wieder ein, dass er selbst gänzlich unbekleidet war. Er war aber nach wie vor gefesselt und konnte seine Blöße nicht bedecken. Marken wollte schon eine Entschuldigung stammeln, als er bemerkte, dass er sich seiner Nacktheit vor der Hohen Frau nicht schämen brauchte. Denn die sonst so hell leuchtenden Augen waren erloschen. Ihr Gesicht war so leer wie das eines Stumpfsinnigen. Was auch immer Hardh ihr angetan haben mochte, es hatte Smirn aus diesem Körper vertrieben.
Am Rande der Schleierfelder,
Ende Parsten im Solder 107 tergde
Gelehrter Freund –
Fisch, Fisch und wieder Fisch. Die Burschen setzen sich mit den Angeln in die Boote, wir Reisenden machen die Leinen am Ufer fest. Und während wir in dieser trüben Suppe warten, döse ich, denke nach – oder schreibe einen Brief. Es dauert nie lange, bis einer anbeißt, deshalb werde ich versuchen, nicht zu sehr abzuschweifen und mich nicht vom trägen Schwappen der silbergrauen Wellen des Eldrons einlullen zu lassen.
Wellen sind jedoch das Stichwort. Vor einigen Tagen,
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