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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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habe wenig Einsicht in die Zukunft«, fuhr sie fort. »Aber auch mir hat unser Aufenthalt in Wiatraïn einige Fähigkeiten vertieft. Ich ahnte, dass Babu etwas verbirgt, und ich wusste, diese Quelle hier würde die Wahrheit schneller hervorholen. Hier musste er es aussprechen.«
    Wieder legte sich der Druck auf Felts Brust. Er rieb sich die Fingerstümpfe, dann umfasste er mit der gesunden die verkrüppelte Hand. Während der letzten Zehnen, als er sich um den so tödlich verwundeten Babu gesorgt hatte, war Felt immer wieder eine Erinnerung in den Sinn gekommen: Wie er im Morgenlicht aus der Höhle trat, erst geblendet war und dann den jungen Bogenschützen vom Rücken eines Pferdes springen sah. Was hatte Babu sich gefreut, als Felt ihm die Pferde geschenkt hatte. Alles war furchtbar gewesen, die dämonischen Bestien hatten alle getötet, Wigo war gestorben   – und dennoch war alles einfacher gewesen als jetzt. Aus dem Nichts waren die Ungeheuer aufgetaucht, aus dem Nichts waren die Retter aufgetaucht, Babu und Juhut. Die Erkenntnis, dass sein Lebensretter gleichzeitig der Unheilstifter war und die Wölfe nur da gewesen waren, weil Babu da gewesen war, belastete Felt mehr, als er zugeben wollte. Er fühlte sich hintergangen.
    »Er kommt«, sagte Reva, aber Felt schaute nicht auf. Er hatte sich Anda auf die Knie gelegt und stützte sich mit den Ellenbogen auf das Futteral seines Schwerts. Er wusste, was Babu ihn fragen würde. Und auch die Antwort kannte er bereits   – seine Antwort.
15
    »Nein.«
    Babu sah ihn mit runden Augen an und Felt erwiderte ruhig den Blick des jungen Mannes.
    »Felt! Du musst! Du musst mich töten!«
    »Nein.«
    Babus Blick flackerte zu Reva, aber die Unda schwieg.
    »Aber wie …? Warum …?«
    Babu legte die Fingerspitzen gegen die Stirn, schloss die Augen. Er versuchte, sich zu sammeln. Aber es sah aus, als ob er den Splitter in seiner Stirn um Beistand bitten würde. Felt war sich bewusst, dass er nicht nur zu Babu sprach. Hinter einer dünnen Haut lauerte eine Anwesenheit darauf, hervorzubrechen. Langsam zog er Anda aus dem Futteral, legte sich die blanke Klinge auf die Schenkel. Im schwarzen Stahl sah er sein Gesicht. Beinahe hätte Felt sich darüber gewundert, wie fest sein eigener Blick war.
    »Dieses Schwert kann dich so schnell töten, Babu, dass du in einem Atemzug von dieser Welt in die andere gelangst. Als ich es bekam, hatte ich das Gefühl, einen Schlüssel zu erhalten. Einen Schlüssel, der mir die Vergangenheit aufschließt, die Zeit, in der ein Welse Ruhm erlangen konnte. Deshalb trägt es den Namen Anda. Inzwischen weiß ich, dass mich mein Gefühl nicht getrogen hat. Ich kann diesem Schwert eine Geschichtegeben, ich kann es meinem Sohn überreichen, ich kann damit eine neue Zeit für unser Volk aufschließen. Aber nur, wenn der Kampf um den Kontinent gewonnen wird. Nur wenn die Menschheit überlebt, werde auch ich überleben; ich kann nur als Sieger nach Hause zurückkehren oder gar nicht.«
    »Dann töte mich hier und jetzt«, zischte Babu. »Und kehre nach Hause zurück   – als Sieger.«
    »Du glaubst, wenn ich das Gefäß zerschlage, mache ich das Gift darin unschädlich?«
    »Felt, dein Vergleich hinkt. Wenn du wüsstest, wie dunkel meine Gedanken werden, würdest du vielleicht anders reden. Ich habe dir schon einmal gesagt: Ich habe nicht deinen Willen. Ich kann mich nicht mehr lange gegen sie wehren. Es ist der Wille des Falken, der mich noch hier hält, nicht meiner. Und die Hüterin   – auch ihre Anwesenheit hilft. Aber ich spüre es, ich sehe es, ich träume es: Das ist alles nur Aufschub. Der Dämon wird mich bald verführt und überwältigt haben!«
    Babu wandte sich ab und stapfte einige Schritte davon. Wenn man ihn so sah, in seinem wollenen Kittel und mit wehenden, schwarzen Haaren, war er wieder ganz der einfache, von seinen Gefühlen überwältigte Hirte. Er trug weder einen Bogen und Pfeile auf dem Rücken noch die Falknerweste und den Handschuh. Und er war so jung. Welche Gefahr konnte schon von ihm ausgehen? Felt bräuchte nicht einmal ein Schwert, er war Babu weit überlegen, er konnte ihn mit der Kraft einer Hand und seiner Erfahrung im Kampf niederringen.
    Aber dann drehte Babu sich um und aus dem Hirten wurde ein Gezeichneter. Einer mit einem Mal auf der Stirn. Ein Besessener. Im abnehmenden Licht glaubte Felt, das bösartige Auge erkennen zu können. Es öffnete sich und der Dämon blickte ihn an und einen Herzschlag lang war es nicht

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