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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Und als er nun verschwunden war, verschwand auch sein Haus, denn es war nur Zauberwerk gewesen. Da erwachten auch die Bäume ringsum, denn er hatte sie schlafen gemacht, damit er in Ruhe seine bösen Taten vollbringen konnte und niemand ihn verriet. Die Bäume raschelten mit ihren Blättern und das Mädchen verstand, dass sie ihm dankten. Und wie es nun das Rascheln in den Bäumen und das Plätschern des Wassers hörte, da war sein Herz von einer Freude erfüllt, die es bisher nicht gekannt hatte. ›Niemals wieder möchte ich fort von hier‹, sagte es, und kaum hatte es das ausgesprochen, da standen drei Frauen um die Quelle. Eine war schön wie der Mond, die zweite zart wie ein Libellenflügel, und als die dritte sprach, war ihre Stimme rau wie Erz. Sie sagte: ›Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen.‹ Die drei Frauen nahmen jede eine Handvoll Wasser aus der Quelle, und als das Mädchen aus der Hand der Schönen trank, sagte diese: ›So dies frisch ist, so das jung bleibt.‹ Als das Mädchen aus der Hand der Zarten trank, sagte diese: ›So dies fließt, so das geschäftig ist.‹ Und als es dann aus der Hand der Rauen trank, sagte diese: ›So dies klar bleibt, so das wahrhaftig ist.‹ Kaum hatte das Mädchen den letzten Schluck genommen, da waren die Frauen wieder verschwunden. Es selbst aber blieb von da an nicht nur bei der Quelle und unter den Bäumen, esblieb auch bis auf den heutigen Tag jung, geschäftig und wahrhaftig.«
13
    Teleia holte Melrunden zum Mittagessen ins Haus und Felt begleitete die beiden Frauen. Wie jeden Tag gab es Suppe mit Nussbrot und selbst ein nicht so genügsamer Esser wie Felt wäre diese Speise nicht leid geworden. Der süßlich sanfte Geschmack der Sedrowes machte zufrieden und nach dem Essen war es jedes Mal so, als habe sich einem eine schnurrende Katze auf dem Bauch zusammengerollt. Melrunden brauchte ihr Nickerchen und Felt half Teleia, die Schüsseln abzuräumen und zu waschen, obwohl sie das nicht gern hatte und Felt mehr Unordnung stiftete, als dass er eine Unterstützung gewesen wäre.
    »Du schaust mich so seltsam an«, sagte Teleia, »und dein Geklapper geht mir auf die Nerven. Du wirst noch das schöne Geschirr zerschlagen. Setz dich und ich beantworte die Fragen, die ich in deinem Gesicht sehe.«
    Felt setzte sich wieder an den Tisch und sah dem blonden Mädchen zu, wie es Töpfe und Schüsseln wusch, das angeschnittene Brot in ein Tuch einschlug und mit geübten Handgriffen wieder Ordnung in die Stube brachte. Er suchte nach einer Ähnlichkeit zwischen Melrunden und Teleia. Nach der Ähnlichkeit von Schwestern. Aber sie war so jung und Melrunden so alt. War Teleia einmal älter gewesen als Melrunden? War sie die Mittlere und Melrunden die Jüngere gewesen? Es kamen ihm Überlegungen in den Sinn, die ihm schon bei Sardes gekommen waren: Wie war es zu ertragen, wenn alle Menschen, die einem etwas bedeuteten, nach und nach starben? Würde man sich mit der Zeit auf niemanden mehr einlassen können oder gewöhnte man sich an das Kommen und Gehen? Es war sicher so, wie Melrunden gesagt hatte, das Altern war eine schwierige Angelegenheit; Felt hatte davon längst eine Vorahnung. Aber wie war es, ein Quellhüter zu sein und nicht zu altern, nicht zu sterben? Vielleicht kam das nur auf die Sichtweise an. Der Vater hatte in der Geschichte seiner mittleren Tochter etwas Höheres zugetraut, als auf einem Hof zu arbeiten. Und die Mutter hatte ihr großes Leid vorausgesagt. Es konnte sein, dass beides zutraf. Dass es zwei Wahrheiten gab   – oder sogar noch mehr. Vielleicht hatte jeder seine eigene Wahrheit und es kam nur darauf an, dass man dieser Wahrheit treu blieb.
    »Nun, bisher hast du dir alle Fragen selbst beantwortet«, sagte Teleia, während sie mit kräftigen Schwüngen fegte. »So ist es mir natürlich am liebsten.«
    Sie stellte den Besen weg, setzte sich Felt gegenüber an den gescheuerten Holztisch und verschränkte ihre roten, glänzenden Finger. Es war seltsam, ihre Hände ruhen zu sehen. Teleias Unterarme waren so kräftig wie die eines jungen Burschen.
    »Ich muss in die Mühle und habe nur wenig Zeit. Deshalb werde ich dir ohne Umschweife sagen, was ich von der ganzen Sache halte. Ihr seid nun einmal im Firsten gekommen, da muss ich mahlen und backen und Öl machen und kann mich nicht groß um etwas anderes kümmern. Dennoch habe ich Babu gepflegt und gehört, was er im Fieber sprach. Ich konnte es nicht verstehen, aber ich habe große Angst und tiefe

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