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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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inzwischen, es müsse nach dem Abstieg durch die leuchtenden Becken der Kristallhöhle gewesen sein. Diese Unda erinnerte sich im Gegensatz zu Felt an alles sehr genau, daran konnte es keinen Zweifel geben, und auch an die Schriften des Chronisten aus Pram. Felt klopfte mit der Hand auf seine Brust. Er trug Wigos Buch stets bei sich.
    »Lesen kann ich immer noch nicht, aber ich denke oft an Wigo in der letzten Zeit. Ich habe ihm lange nicht vertraut   – jetzt gäbe ich viel für seinen Rat. Der Dämon will Mensch werden? Wigo wüsste vielleicht, wie die Menschen sich selbst besiegen sollen, ohne sich dabei auch gleich selbst zu vernichten.«

An der Schlingerfähre bei Gaspen,
    Nors im Solder 107 tergde

    Gelehrter Freund   –

    ich kann es kaum fassen: Bald werde ich zu Hause sein, sehr bald! Was war das für ein erhebendes Gefühl, als die Schleier zerrissen und wir endlich, endlich die Sonne wieder sehen konnten. Ich beherrsche mich und schreibe hier nichts von der Klarheit, vom beglückten Lächeln, das das Licht des Himmels auf unsere Gesichter rief und das auch der bald folgende Regenschauer nicht vertreiben konnte. Ein paar Tage später   – heute   – sind wir endlich bei der Fähre angelangt. (Das ist gut einen halben Tagesmarsch nördlich von Gaspen; wir mussten erst auf unserer Uferseite an der Stadt vorbeigehen. Auf die Entfernung, über den Fluss hinweg, schien alles wie immer zu sein. Aber seit ich die Umrisse der Hafengebäude meiner Heimatstadt wiedergesehen habe, pocht mir mein Herz ohne Unterlass im Hals!)
    Ihr müsst wissen, dass diese Fähre nicht allen bekannt ist; insbesondere Ortsfremden wird diese Möglichkeit, den Eldron zu queren, tunlichst verschwiegen, und wenn man nichts von ihr weiß, kann man die Fähre kaum finden. Die erstaunlich kluge Konstruktion nutzt die Strömung des Flusses und war eigentlich nur das Ergebnis einer Wette, ich erzähle ein andermal, wie es dazu kam, ich erinnere mich lebhaft … Nun, jedenfalls können wir nicht alle gemeinsam hinüber und ich nutze die Wartezeit wieder für einen kurzen Brief.

    Ich hatte viele wirre Gedanken während dieser nicht enden wollenden Wanderung in Flussrauschen und Nebeldunst, ich konnte nicht mehr schreiben, es hatte keinen Sinn. Jetzt, wo das Licht wieder in mein Gemüt gezogen ist, geht es besser. Aber nun sehe ich auch wieder Schatten …
    Wigo, ich gestehe, ich habe Angst, nach Hause zu kommen. Ich war bald ein Solder fort. Was mag in der Zwischenzeit geschehen sein? Kennt Ihr dieses Gefühl, nach langer Krankheit und Bettruhe wieder in die Welt zu treten? Diese Freude und gleichzeitig diese Unsicherheit? So ergeht es mir, und in dieser Gemütslage ist es nicht weiter schlimm, als Letzter überzusetzen.
    Ich habe diese lange Reise noch einmal durch meine Gedanken ziehen lassen und werde, wenn ich zu Hause bin, sicher einen ausführlichen Bericht verfassen. Ihr könnt Euch denken, ich habe nicht nur diese Briefe an Euch geschrieben, sondern mir außerdem viele Notizen gemacht. Dieser Bogen ist nun der letzte von meinem guten Schreibpapier. Ich wende mich jedoch nicht nur mit verschwommenen Abschiedsworten an Euch, Wigo, denn das hieße das Schicksal herausfordern und ich hoffe doch sehr, dass diesem Brief hier noch viele weitere folgen. Sondern ich möchte noch etwas von Belang mitteilen.
    Die Tatsache, dass der Hohe Rat von Agen (niemand sonst kann etwas so Weitreichendes veranlassen) Söldner aus Nirwen angeworben hat, will mir nicht aus dem Kopf. Ich schrieb Euch das in meinem zweiten Brief. (Von dem ich nur hoffen kann, dass er Euch erreicht hat, wo er doch so viel Geld gekostet hat.) Nun, diese finsteren Gestalten aus den Bergen von Nirwen jedenfalls versperrten nördlich von Agen die Brücke über die Linrade. Agen und auch Gaspen, was ja viel näher liegt, haben seit jeher wenig mit Nirwen im Sinn. Nirwen gehört zu Segurien, ja, aber das sehen andere Völker fast enger als wir Seguren selbst. Die Stadt atmet nicht unsere Luft, sie atmet die bittersalzigen Winde der Marga, versteht Ihr? Leute aus Nirwen sind ein eigener Schlag; ich würde fast sagen, ein eigener Volksstamm. Bei uns nennt man Menschen aus der Gegend dort auch Swaguren   – hinter vorgehaltener Hand natürlich, denn das ist wirklich eine üble Titulierung. (Schon wenn ich nur das Wort hier niederschreibe, komme ich mir schlecht vor.) Was aber veranlasst nun die Herrschenden, solche Gestalten vom Rande der Wüste nach Agen zu rufen, um die eigenen

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