Zwölf Wasser
hatten sich verdunkelt.
»Vielleicht sagt er die Wahrheit«, meinte Felt zu ihr und konnte nicht verhindern, dass seine Hände zitterten. »Vielleicht bin ich gnadenlos. Ich erschlage ihn nicht – aber rette ich sein Leben? Opfere ich ihn nicht vielmehr?«
Er setzte sich wieder auf den Stein. Es konnte keine richtige oder falsche Antwort geben. Es konnte nur seine Antwort geben. Und seine Wahrheit. Felt hatte nachgedacht und dann hatte er doch nur sein Herz entscheiden lassen. Er konnte Babu nicht töten. Selbst wenn der die Wölfe in die Welt gebracht hatte, selbst wenn er das die ganze Zeit verschwiegen hatte, selbst wenn er das Tor war – Felt konnte Babu nicht töten. Er konnte ihn nur bewachen.
»Du hoffst«, sagte Reva schlicht und Felt nickte.
»Ja, ich hoffe immer noch. Ich hoffe darauf, den Dämon zu besiegen und Babu zu retten. Ich hoffe darauf, uns alle zu retten und nach Hause zu gehen und meine Kinder zu umarmen. Meine Frau zu küssen. Ich sehe, wie mir alles entgleitet, und hoffe immer noch, dass ich es festhalten kann.«
Felt blickte auf und direkt ins Lächeln der Unda. Sie hatte die weiße Flamme entzündet und das diffuse, rhythmische Aufleuchten brachte das vereiste Gras zum Funkeln. Es sah aus, als hielte Reva ein kleines, klopfendes Herz in der Hand.
»Wer hätte gedacht, dass welsische Sturheit unserer Sache derart dienlich sein würde? Nun, Utate, Smirn und ich, wir waren immer davon überzeugt.« Sie kam noch einen Schritt näher und stieg dabei ins klare Wasser der Quelle. »Felt, hättest du ihn getötet, du hättest eine Tat begangen, die durch nichts wiedergutzumachen gewesen wäre. Du wärst den einen Weg gegangen und hättest mit einem Schlag aus allen anderen Möglichkeiten vertane Chancen gemacht.«
Felt nickte, aber in seinem Gesicht war keine Erleichterung zu erkennen.
»Reva, ich hoffe zwar. Aber ich zweifle auch.«
»Wir befinden uns an der Quelle der Wahrhaftigkeit. Hier zeigt sich, wer du bist und was du denkst. Alles wird offenbar.«
Felt erhob sich, nahm einen tiefen Atemzug der Nachtluft, die hier zwar ebenso klar und frisch war wie am Berg, aber lange nicht so schneidend kalt.
»Ich wünschte, ich müsste nicht fort von hier.« Er lächelte gequält. »Aber ich wünsche es nicht von ganzem Herzen, sondern nur, weil ich mich vor dem fürchte, was kommt. Mein Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen.«
Er holte nochmals tief Luft.
»Ich habe Babu auch aus einem weniger edlen Grund nichterschlagen: Weil es widersinnig ist, das Tor zu zerstören, wenn man einen Eintritt verhindern will. Ich werde genau das tun, was ich gesagt habe, was ich immer schon getan habe: Ich werde die Wache sein. Ich werde ihm überallhin folgen und ich werde warten. Ich werde nicht auf das Tor einschlagen, sondern auf das, was hindurchkommt. Aber ich fürchte, es wird groß sein. Bei seinem Eintritt kann es das Tor niederreißen. Meine Schwäche ist, dass ich es darauf ankommen lassen muss, denn ich kann nur ein Tor bewachen und nicht viele. Babu glaubt, das Tor schließt sich, wenn er stirbt. Das glaube ich auch. Doch ein anderes wird sich öffnen, irgendwo, in irgendjemandem. Meine Gnadenlosigkeit ist, dass ich nichts unternehme – was auch immer das sein könnte –, um Babu vor dem Dämon zu schützen. Nein, denn ich zähle darauf, dass Asing Babu benutzen wird. Ihn kenne ich, ihn kann ich bewachen. Vielleicht wird er das sogar einsehen, wenn er sich etwas beruhigt hat. Jetzt sollte man ihn erst einmal in Frieden lassen, denke ich.«
Felt schaute kurz den Bachlauf hinab. Die Mühle war von hier aus nicht zu sehen und Babu war längst aus seinem Gesichtsfeld verschwunden. Immer mehr Sterne sprenkelten den Abendhimmel und Felt hatte die Vorstellung, sie blickten auf ihn und die Geschehnisse herab. Wie eine neugierige Menschenmenge kamen sie aus einer fernen, unbekannten Schwärze gelaufen, stellten sich an den Himmel und schauten mit grausamer Kälte auf die Katastrophe weit unter ihnen.
»Reva, ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn der Dämon Gestalt annimmt. Nicht einmal Wigo wollte sich das vorstellen, er meinte, dem Grauen zu begegnen, das in einem selbst wohnt , sei zu entsetzlich. So hat er es aufgeschrieben, erinnerst du dich?«
Reva sagte nichts, nickte nicht. Sah nur Felt an und trug ihr Licht, das seit der Durchquerung der Ubid Engat pulsierte wieein unhörbarer Herzschlag. Felt erinnerte sich nicht genau daran, wann das Pulsieren begonnen hatte, glaubte aber
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