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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Gelehrte durch ihre bloße Anwesenheit aufgerüttelt und ein Gefühl nahenden Unheils in ihr wachgerufen. Mit wem sollte Gilmen ihre Sorge nun teilen, wem sollte sie von dem Unheil berichten, das sie kommen sah? Und wie sollte sie ihre Vermutung beweisen?
    Wigo. Wigo wäre der Richtige, ihm konnte sie sich anvertrauen, ohne das Gesicht zu verlieren   – Wigo jedoch war fort. Gilmen wandte sich ab vom großen Platz und trat zurück ins gewohnte, warmrote Dämmerlicht der Hama. Es konnte nichts anderes als Einbildung sein, aber Gilmen glaubte deutlich denheißen Blick des Dämons im Rücken zu spüren und beschleunigte ihre Schritte.
    Die andere Frau, deren Herz beim Anblick von Estrid und ihrem roten Haar einen Schlag ausgesetzt hatte, stand auf den sonnigen Stufen zum Theater und fühlte sich doch wie im Schatten. Denn der Fürst hatte sie nicht einmal bemerkt, als er vorübergeritten war. Im Dunkeln stehen, nicht wahrgenommen werden war das Schlimmste für Samirna. Sie war Schauspielerin   – und zwar eine bemerkenswerte. Ihre Bewunderer nannten sie Mirna, die Tausendfache , denn sie hatte viele Gesichter und Stimmen. Aber auch wenn sie viele Rollen spielen konnte, war eine die ihres Lebens: die der Asing. Sie verkörperte die Segurin wie keine vor ihr. So jedenfalls erzählte man es sich in Pram dieser Tage, denn die Aufführung zur Kremlid wirkte immer noch nach und hatte Samirna endgültig an die Spitze des Ensembles gesetzt. Im Theaterstück, das den Mythos der Feuerschlacht und die Niederwerfung der Welsen durch die Allianz der Pramer, Kwother und Steppenläufer nachempfand, war sie dem historischen Fürst Palmon zugetan. Und er ihr. In der Rolle der Asing hatte Samirna es in diesem Solder geschafft, auf der Bühne ein großes Liebesdrama zu erzählen, statt eine bloße Geschichtsstunde abzuhalten. Damit hatte sie die Zuschauer in den Bann gezogen. Der Erfolg der Aufführung beruhte also nicht nur auf dem zugegebenermaßen sehr bewegenden und unglaublich gut zu sprechenden Versen des Autors   – Wigo konnte so lebensnah schreiben   –, sondern ganz besonders auf Samirnas überzeugender Darstellung der Asing. Denn das war mehr als Schauspielkunst. Samirna spielte Asing nicht. Sie war Asing. Sie war die schönste und klügste Adeptin, die machtvollste Magierin und leidenschaftlichste Liebende, die Pram je gesehen hatte. Die Stadt lag ihr zu Füßen und ebenso der Fürst   – der auf der Bühneund der im Leben. Der heutige Fürst, Fürst Mendron, konnte gar nicht anders: Er musste die schöne Schauspielerin, dieses schillernde Wesen, diese Samirna-Asing begehren. Sie ließ ihn warten, schon lange, und nun erst recht. Sie liebte ihn nicht, aber sie liebte die Zukunft, die er ihr ermöglichen konnte. Samirna war auf ihrem Zenit, als Schauspielerin und als Frau   – sie konnte nicht mehr besser und nicht mehr schöner werden. Sie musste sich jetzt alles nehmen, damit sie in Zukunft etwas hatte. Sie wollte die Kremlid-Aufführungen der kommenden Soldern nicht aus der Kulisse verfolgen, das nicht mehr ganz so schöne Gesicht mit Ruß beschmiert wie die anderen Statisten. Samirna hatte vor, das Bühnengeschehen von der Fürstenloge aus anzuschauen. Nur der alte Sardes stand ihr noch im Weg.
    Und seit heute zudem eine Fremde, deren Haare brannten, wie die Asings gebrannt hatten. Diese Frau war schön auf eine Art, die man in dieser Stadt nicht gewohnt war und die deshalb sofort faszinierte. Wahrscheinlich ahnte der Fürst es selbst noch nicht, aber Mirna, die Tausendfache   – geschult in jeder noch so kleinen menschlichen Regung   –, hatte den Blick gesehen, den Mendron der Rothaarigen geschenkt hatte. Sie konnte ihn deuten und wusste bereits jetzt, dass die Fremde ihr das sicher geglaubte Herz des Fürsten doch noch abspenstig machen könnte.
6
    Der Bote kam drei Tage später. Die Frauen saßen im Garten unter einem großen Sonnensegel, Estrid am Tisch über Büchern, Belendra am Boden. Sie spielte mit den Kindern. Die herrische und unberechenbare Frau bewies eine unerschöpfliche Geduld, wenn sie sich mit Strem und Ristra beschäftigte. Nur ungern unterbrach Belendra das Spiel   – eine große Schar Holztiere wolltegerade die gefährliche Kieswegwüste durchqueren –, um den Boten zu empfangen.
    Sie warf nur einen Blick auf das Schriftstück und reichte es Estrid. »Hier, lest.«
    Estrid nahm den Brief und las die auffallend schwungvollen und mit Schnörkeln versehenen Schriftzeichen.
    »Verstehe

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