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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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weit, viel weiter, als der Himmel in Pram je sein konnte. Von dort kam sie, dort war ihre Heimat, für immer. Und dort lebte ihr Volk und hungerte   – darum ging es, nicht um ein Kleid, um Frisuren, um Blicke. Estrid öffnete die Augen und lächelte.
    »Ah, wie wunderbar Euer Lächeln ist, Estrid, geradezu bezaubernd. Und so selten wie ein roter Smaragd.«
    Belendra strich ihr sanft über die Wange. Dann wurde ihr Ausdruck ernst.
    »So, und nun konzentriert Euch. Ich werde Euch zu allen wichtigen Personen ein paar Worte zuflüstern. Merkt Euch gut, was ich sage, ich werde mich nicht wiederholen.«
    Durch weit geöffnete Flügeltüren und vorbei an sich tief verbeugenden Lakaien traten sie ein in den großen Festsaal des Fürstenpalasts.
8
    »Dort links, das ist Samirna, genannt Mirna, die Tausendfache. Schauspielerin und dementsprechend charakterlos   – heute zeigt sie dir dieses Gesicht, morgen ein anderes.«
    Estrids Blick folgte dem von Belendra zu dem runden Tisch links von ihnen. Dort saß eine bildschöne Frau mit goldenen Spangen im Haar und begutachtete in einem kleinen Spiegel ihre dramatische Augenschminke. Ein Aufblitzen blendete Estrid und sie sah weg.
    »Die anderen«, fuhr Belendra fort, »sind auch größtenteils vom Theater oder haben in irgendeiner Weise damit zu tun, deswegen nennt man den ersten Tisch den Gauklertisch.«
    Mirna saß als einzige Frau zwischen acht Männern und genoss es offensichtlich, Ziel von Komplimenten und Anzüglichkeiten zu sein. Es wurde viel gelacht an diesem Tisch und Estrid beneidete die schöne Schauspielerin um ihre kokette Selbstsicherheit.
    »Wigo hat auch immer an jenem Tisch gesessen«, sagte Belendra mit matter Stimme.
    »Wigo?«
    »Erinnert Ihr Euch nicht? Der Übersetzer. Wir waren gemeinsam in der Lagerstadt, an jenem Morgen, als wir Euch holten. Nun, von Euch, der am wenigsten geschwätzigen Person, die ich kenne, wird er wohl kaum etwas erfahren. Deshalb kann ich es verraten: Ich vermisse ihn. Ich schätze ihn sehr, er ist ein angenehmer Gesprächspartner und zudem loyal.«
    Estrid hatte nur vage einen schmalschultrigen, nervösen Mann vor Augen.
    »Er ist nicht in der Stadt? Wo ist er?«, fragte sie.
    »Unterwegs«, antwortete Belendra ausweichend und lachte kurz und bitter auf. »Auf Wigos Platz sitzt nun Nermgon, der Stümper; die Chronik dieser Stadt wird von nun an unlesbar sein. Der Trosser ist noch schamloser, als ich dachte.«
    Jener Trosser, ein wendiger, noch recht junger und überaus eleganter Mann, war für die Sitzordnung zuständig, so viel hatte Estrid begriffen. Er hatte eine unterkühlte Belendra und die nervöse Estrid zu ihren Plätzen begleitet. Wer an welchem Tisch zu sitzen kam, schien von großer Bedeutung zu sein. Der Sessel rechts neben Estrid war noch leer, links von ihr saß Belendra. Die weiteren sechs Plätze an ihrem Tisch wurden von Paaren in gesetztem Alter belegt, die höflich distanziert miteinanderKonversation betrieben und Estrid und Belendra vollkommen ignorierten. Die runden Tische gruppierten sich in Halbkreisen um einen zentralen   – den des Fürsten, der zwar wie alle festlich gedeckt, aber noch leer war.
    »Am Tisch rechts von uns kennt Ihr die wichtigste Person bereits«, fuhr Belendra fort und Estrid nickte. Dort drüben saß Gilmen, die Gelehrte. Auch die anderen waren Seguren und die Stimmung war maßvoll   – wenn einer redete, hörten alle anderen zu. Estrid konnte nicht ein einziges Wort aufschnappen; der Klang des Segurischen faszinierte sie aber.
    »Alles mehr oder weniger forschende Geister«, sagte Belendra. »Das ist der graue Tisch. Natürlich wegen der Farbe der segurischen Gewänder, aber hauptsächlich, weil man dort vor Langeweile umkommt   – falls man ein Fest als Anlass zum Feiern nehmen möchte und nicht zum Diskutieren. Der Mann neben Gilmen ist Telden, ein Kartograf. Nicht unwichtig, wenn man bedenkt, dass er bestimmt, was wir von der Welt kennen sollen und was nicht.«
    Sie lehnte sich im Sessel zurück, hob kurz die Hand. Sofort wurde ihr nachgeschenkt. Der Saal war nun fast voll, beinahe alle Tische waren belegt und die Luft flirrte vor Musik, Lachen, Gesprächen und dem unbedingten Willen der Gäste sich zu amüsieren. Belendra machte eine wegwerfende Geste, die den ganzen Raum meinte.
    »Alle anderen hier sind im Grunde unwichtig   – nur die ersten drei Tische nah beim Fürsten sind von Belang. Eine edle Abstammung zählt wenig in Pram, dafür kann man sich nichts kaufen. Ich

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