Zwölf Wasser
gezeichnet, sondern verfeinert worden: Ihr Gesicht wirkte kostbar wie eine edle Schnitzerei.
»Lass es gut sein, Dild«, sagte sie, ohne die Angesprochene anzusehen. Stattdessen nickte sie Belendra liebenswürdig zu und formte mit schlanken Händen zum Gruß ein Dreieck vor der Brust.
»Ich sollte zumindest vermerken, welche Bücher –«, versuchte es die Aufsicht nochmals.
»Ich bin zuversichtlich, dass Belendra beziehungsweise ihr Gast alle Bücher pfleglich behandeln wird. Eine Kontrolle ist vollkommen überflüssig. Danke, Dild, du kannst mit deiner Arbeit fortfahren.«
Mit tiefrotem Gesicht gab sich Dild geschlagen und stürmte durch die Lesetische zurück zu ihrem Aufsichtsturm.
»Sie meint es nur gut«, sagte die Ältere. Mit Blick auf dieBücher in Belendras Arm fügte sie an: »Ihr habt Euch einiges vorgenommen. Wollt Ihr den Fürsten stürzen?«
Belendra lachte ihr lautes, tiefes Lachen. Für sie galt weder ein Ausleihverbot, noch musste sie hier die Ruhe bewahren.
»Gilmen, nichts liegt mir ferner, das wisst Ihr genau. Oh, darf ich vorstellen: Die ehrwürdige Gilmen, hervorragendste Gelehrte dieses Zeitalters und Vorsitzende im Rat der Hama – mit anderen Worten: die klügste Frau der Welt. Und dies ist Estrid, stolze Schönheit der Randberge, als Welsin in Pram ebenso im Exil wie Ihr.«
Estrid konnte wegen der Bücher im Arm nur lächelnd nicken, was ihr unhöflich vorkam. Zudem hatte Belendras Vorstellung sie beschämt, sie empfand alles andere als Stolz. Sie kam sich plump und ungebildet vor und murmelte einen Gruß.
»Sehr erfreut.« Gilmen lächelte und es schien Estrid, als sei dieses wohlwollende Lächeln das erste wahrhaftige Gefühl, das ihr in Pram entgegengebracht wurde. »Es erfordert einigen Mut, als Welsin in Pram zu weilen.«
Estrid senkte den Blick. Sie wusste nicht, warum ihre Augen schon wieder feucht wurden, diese neue Empfindlichkeit verwirrte und ärgerte sie.
»Die Dinge ändern sich, wir leben in einer Zeit des Umbruchs«, warf Belendra ein. »Aber eines bleibt vorerst und wohl für alle Zeit gleich: Versuche, mit einem Welsen Konversation zu machen, und du wirst scheitern.«
4
Als sie die Stufen der Hama hinab zur wartenden Kutsche gingen, kam Belendra aus dem Tritt und wäre fast gestürzt. Estrid ließ ihre Bücher fallen und stützte sie, doch in Belendras Gesicht stand einen Wimpernschlag lang ein derart angsterfüllter Schrecken, dass Estrid sie gleich wieder losließ.
»Lasst den Knaben in Frieden!«, kreischte Belendra, der Schreck war in Empörung umgeschlagen. Sie drückte Estrid ihre Bücher in die Hände und flog die Treppe hinunter auf die beiden weiß berockten Soldaten zu, die den erstarrten Knaben auf dem Kutschbock befragten, Hände an den Griffen ihrer kurzen Schwerter. Feixend machte einer der Männer die Andeutung von einem Gruß in Belendras Richtung, der andere warf Estrid anzügliche Blicke zu. Sie bückte sich schnell nach den verstreuten Büchern.
»Das ist Kandors Miliz«, raunte eine weiche Stimme – auf Welsisch. Estrid lief ein Schauer über den Rücken. Gilmen war ihnen gefolgt und half nun Estrid, die Bücher aufzusammeln. »Belendra hat es nicht leicht, müsst Ihr wissen. Sie mag zwar unfassbar reich sein, aber ihr untreuer Ehemann macht ihr das Leben schwer. Sehr schwer.«
Sie richteten sich beide auf; Gilmen legte die von ihr aufgeklaubten Bücher oben auf den Stapel, den Estrid hielt.
»Ich wünsche eine lehrreiche Lektüre«, sagte sie und stieg die Stufen langsam wieder hinauf. »Bei Gelegenheit würde ich mich gern mit Euch darüber austauschen und von Eurem Leben in der Höhe hören!«
Sie hob die Hand zum Gruß und wieder konnte Estrid nur nicken und der Gelehrten ein stumpfes »Ja!« hinterherrufen.
Die Soldaten hatten sich getrollt, aber Belendra war immer noch entrüstet über deren Übergriff auf ihren Schützling; ihr Busen hob und senkte sich mit ihrem Atem. Sie riss Estrid die Bücher aus dem Arm und schleuderte sie ins Innere des Zweispänners.
Von dem, was Belendra dann mit dunkler, brüchiger Stimme vor sich hin murmelte, konnte Estrid nur in den Staub mit dir verstehen. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter. Belendra starrte sie mit fiebrigen Augen an, als hätte sie sie noch nie gesehen. Estrid blickte Hilfe suchend zum Knaben – da schallte ein Hornsignal über den Platz.
»Da kommt der Fürst! Der Fürst! Und Sardes!«
Der Knabe war auf seinem Kutschbock aufgesprungen und deutete mit
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