Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
wird, wenn ich nicht würdig bin? Wie sehe ich, ob man mich auf die Probe stellt? Was wird mein Totem wohl von mir wollen? Schritt für Schritt spurte Ayla durch den Schnee und dachte darüber nach, was in ihrem Leben schwer für sie war. Und plötzlich wusste sie es.
"Broud! Broud!" Ayla riss die Hände zum Himmel. Was konnte eine härtere Prüfung sein als die lange, lange Zeit der kalten dunklen Tage Seite an Seite mit Broud in der Höhle harren zu müssen? Aber wenn sie es ertragen, wenn sie seiner würdig sei, dann würde ihr Totem sie auf die Jagd gehen lassen.
Eine neue Leichtigkeit lag in Aylas geschmeidigem Gang, als sie den Weg zur Höhle unter die Füße nahm. Iza wurde die Veränderung gewahr, aber sie konnte nichts daraus deuten. Aylas Haltung war so ergeben wie zuvor, doch ihre Bewegungen waren beschwingt, und auf ihr Gesicht trat ein neuer Ausdruck, als sie Broud nahen sah - nicht Ergebung, sondern ruhige Annahme dessen, was ihr beschieden war. Creb jedoch war es, dem auffiel, dass das Beutelchen an ihrem Hals um etliches dicker geworden war.
In den folgenden Tagen sahen die beiden Alten mit Erleichterung und Stolz, dass Ayla trotz Brouds demütigender Forderungen wieder wie früher wurde. Oft zwar kehrte das Mädchen todmüde in den Wohnkreis zurück, doch sein Lächeln leuchtete wieder, wenn es mit Uba spielte. Creb ahnte, dass Ayla eine Entscheidung getroffen und von ihrem Totem ein Zeichen erhalten hatte, und das Herz wurde ihm leichter, als er sah, dass es ihr nicht mehr so schwer wurde, ihre Art dem Clan-Brauch anzupassen. Der Mog-ur spürte ihren inneren Kampf, aber er wusste, dass sie sich nicht nur Brouds Willen beugen, sondern auch aufhören musste, sich gegen ihn aufzulehnen. Auch sie musste lernen, sich selbst zu bezwingen.
In dem Winter, der ihr achtes Lebensjahr einleitete, wurde Ayla zur Frau. Nicht äußerlich. Ihr Körper hatte noch immer die geraden, unentwickelten Formen des Mädchens und zeigte kein Anzeichen kommender Veränderung. Doch in diesen langen, finsteren Tagen der Kältnis und der drückenden Enge ließ Ayla das Wesen ihrer Kindheit hinter sich.
Manchmal war ihr das Leben eine so bedrückende Last, dass sie es am liebsten fortgeworfen hätte. Manchen Morgen, wenn sie die Augen aufschlug und über sich nach und nach den vertrauten, porigen Fels der Hö hle sah, sie könnte wieder in tiefen Schlaf versinken und würde nie wieder erwachen. Aber immer, wenn sie glaubte, dieses Schuften, Rackern, Bücken, Rennen und Ergebensein nicht länger ertragen zu können, umfasste sie ihr Amulett. Dann fühlte sie den kleinen Muschelstein und hatte wieder Kraft, einen weiteren Tag durchzustehen. Und jeder Tag, den sie bewältigte, brachte sie dem Zeitpunkt näher, wo das tiefverschneite Land wieder grünen und die eisigen Stürme den milden Seewinden weichen würden. Dann endlich konnte sie wieder frank und frei die Wälder und Wiesen durchstreifen.
Genauso stur und unberechenbar bösartig wie das wollhaarige Nashorn, dessen Geist sein Totem war, konnte auch Broud sein. Mit der den Clan-Leuten eigenen engstirnigen Beharrlichkeit, auch nicht ein einziges Stück abzuweichen von dem Weg, den man einmal unter die Füße genommen hatte, war Brouds Sinnen und Trachten darauf gerichtet, Ayla fest im Griff zu halten. Alle konnten mit ansehen, wie sie täglich Püffe und Stöße und Schläge einzustecken hatte, gerechterweise. Aber nur wenigen gefiel die Art, wie Broud mit ihr umsprang.
Brun hatte immer noch den Eindruck, dass Broud sich von dem Mädchen allzu sehr reizen ließ; da der junge Jäger jedoch seine Hitzköpfigkeit bezähmte, griff er nicht ein. Doch hoffte er, Broud würde mit der Zeit von selbst begreifen, dass diesem Mädchen einfach gelassener begegnet werden müsse. Denn nach und nach und auch höchst widerwillig war ihm eine Art der Achtung vor dem Fremdling zugewachsen, ein ähnliches Gefühl, wie er einst Iza gegenüber empfunden hatte, als diese klaglos die Schläge ihres Gefährten über sich hatte ergehen lassen.
Wie damals Iza, so gab jetzt Ayla ein vorbildliches Verhalten für die Frauen ab. Sie litt, ohne zu klagen. Und wenn sie hin und wieder innehielt, um die bebende Hand auf ihr Amulett zu legen, so sahen Brun und die anderen Leute darin ein Zeichen ihres Ehrerbietens den heiligen Mächten gegenüber, das ihr eine frauliche Würde verlieh.
Und es war wirklich das Amulett, das ihr Halt gab. Ayla glaubte ja an die heiligen Mächte auf eine Weise, wie sie, sie
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