Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
zurücklief, stürzte der rostfarbene Bulle sich dumpf grollend auf ihn. Der scharfe, durchdringende Geruch und das tiefe Grollen taten ihre Wirkung. Der junge Bulle lief rasch davon, dann senkte er demütig den Kopf und hielt Abstand. Endlich, solange sie in der Nähe des großen Bullen in Musth blieb, konnte die dunkelrote Kuh sich ausruhen und fressen, ohne gejagt zu werden.
Obwohl der Mann und die Frau wußten, daß es vorbei war, und es Jondalar wie üblich drängte, sich auf den Weg zu machen, konnten sie sich doch nicht zum sofortigen Weiterreiten entschließen. Sie waren tief beeindruckt und empfanden es als eine Ehre, daß sie der Paarung der Mammute hatten zusehen dürfen. Sie hatten das Gefühl, nicht nur Beobachter gewesen zu sein, sondern daran teilgehabt zu haben wie an einer bewegenden und bedeutenden Zeremonie. Ayla verspürte den Wunsch, zu ihnen hinzulaufen und sie gleichfalls zu berühren, um ihrem Verständnis Ausdruck zu geben und ihr Glück zu teilen.
Bevor sie aufbrachen, stellte Ayla fest, daß viele der eßbaren Pflanzen, die sie unterwegs bemerkt hatten, ganz in der Nä-he wuchsen; sie beschloß, einige davon zu sammeln. Sie benutzte ihren Grabstock für Wurzeln und ein spezielles, ziemlich dickes und kräftiges Feuersteinmesser zum Ab-schneiden von Stengeln und Blättern. Jondalar beugte sich
neben ihr nieder, um zu helfen; allerdings mußte sie ihm sa-gen, was sie haben wollte.
Es verblüffte sie noch immer. In der Zeit, in der sie im Löwen-Lager gelebt hatte, waren ihr die Bräuche und Arbeitsmuster der Mamutoi vertraut geworden, die sich von denen des Clans erheblich unterschieden. Aber selbst dort hatte sie zumeist mit Deegie oder Nezzie zusammengearbeitet; viele Leute arbeiteten
gemeinsam, und sie hatte vergessen, wie bereitwillig er auch Tätigkeiten ausübte, die bei den Männern des Clans als Frauenarbeit gegolten hatten. Doch seit sie einander im Tal der Pferde begegnet waren, hatte Jondalar nie gezögert, alles zu tun, was sie tat; er war überrascht gewesen, daß sie nicht von ihm erwartet hatte, daß er bei der Arbeit mithalf, die getan werden mußte. Jetzt, wo beide miteinander allein waren, wurde sie sich dieser Seite seines Wesens von neuem bewußt.
Als sie dann endlich aufgebrochen waren, ritten sie eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Ayla weilte in Gedanken noch immer bei den Mammuten. Außerdem dachte sie an die Mamutoi, die sie aufgenommen und ihr ein Heim gegeben hatten, als sie keines gehabt hatte. Sie nannten sich Mammutjäger, obwohl sie auch viele andere Tiere jagten, und die großen, wollhaarigen Geschöpfe nahmen bei ihnen einen einzigartigen Ehrenplatz ein, obwohl sie Jagd auf sie machten. Sie lieferten ihnen nicht nur einen Großteil dessen, was sie zum Leben brauchten - Fleisch, Fett, Häute, Wolle für Schnüre und Seile, Elfenbein für Werkzeuge und Schnitzarbeiten, Knochen als Baumaterial und sogar Brennstoff , die Jagd auf Mammute hatte für sie auch eine tiefgründige spirituelle Bedeutung.
Sie empfand sich jetzt mehr als je zuvor als Mamutoi, ob-wohl sie fortreiste. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihre Begeg-nung mit der Herde kein Zufall gewesen. Sie war sich ganz sicher, daß es einen Grund dafür geben mußte, und fragte sich, ob Mut, die Erdmütter, oder vielleicht ihr Totem ver-suchte, ihr etwas mitzuteilen. In letzter Zeit hatte sie oft an den Geist des Großen Höhlenlöwen denken müssen, das To-tem, das Creb ihr verliehen hatte, und sich gefragt, ob es sie
noch immer beschützte, obwohl sie nicht mehr zum Clan ge-hörte, und ob in ihrem neuen Leben mit Jondalar überhaupt Raum war für einen Totemgeist des Clans.
Endlich wurde der Bewuchs mit Hochgras dünner, und sie ritten auf der Suche nach einem Lagerplatz näher an den Fluß heran. Jondalar warf einen Blick auf die im Westen untergehende Sonne und entschied, daß es zu spät war, um noch auf die Jagd zu gehen. Er bedauerte es nicht, daß sie haltgemacht hatten, um die Mammute zu beobachten, aber er hatte gehofft, noch auf die Jagd nach Fleisch gehen zu können, das nicht nur für ihr Abendessen reichte, sondern auch noch für die nächsten Tage. Er wollte den getrockneten Reiseproviant, den sie mit sich führten, nicht angreifen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Wie die Dinge lagen, mußten sie sich am Morgen Zeit für die Jagd nehmen.
Das Tal mit seinem fruchtbaren Schwemmland hatte sich verändert und mit ihm die Vegetation. Als die Ufer des schnell fließenden
Weitere Kostenlose Bücher