Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Verhältnis zu ihrer Größe hatten die Wollmammute kurze Beine, was ihnen die Nahrungsaufnahme erleichtert, da sie sich im Gegensatz zu ihren in wärmerem Klima lebenden Verwandten nicht von den hochsitzenden Blättern der Bäume ernährten, sondern fast ausschließlich von Gras. Aber auch bei ihnen befand sich der Kopf hoch über dem Boden und zwar, zumal in Anbetracht der riesigen Stoßzähne, zu groß und zu schwer für einen langen Hals, der ihnen erlaubt hätte, auf die Weise zu fressen und zu trinken, wie Pferde und Hirsche es taten. Sie hatten das Problem, Nahrung und Wasser ins Maul zu befördern, gelöst, indem sie sich einen Rüssel zulegten.
Der bepelzte, biegsame Rüssel eines Wollmammuts war so kräftig, daß es damit einen Baum ausreißen oder einen schweren Eisbrocken aufheben und auf den Boden schleudern konnte, so daß er in kleinere handlichere Stücke zerbrach, die ihm im Winter Trinkwasser lieferten; gleichzeitig war er so gewandt, daß es mit ihm ein einzelnes Blatt abpflücken konnte. Außerdem war er dem Abreißen von Gras hervorragend angepaßt: an seinem Ende saßen zwei Fortsätze - oben ein fingerartiger, den das Tier ganz gezielt bewegen konnte, und unten ein breiteres, abgeflachtes, sehr flexibles Gebilde, das fast einer Hand glich, aber einer ohne Knochen oder einzelner Finger.
Jondalar bewunderte die Kraft und Geschicklichkeit des Rüssels, als er beobachtete, wie ein Mammut den muskulösen unteren Fortsatz um ein Büschel dicht beieinander stehender Hochgrashalme schlang und sie zusammenhielt; mit dem fingerähnlichen oberen Auswuchs holte es weitere Halme heran, bis es eine gute Portion beisammen hatte. Es hielt das Bündel fest, indem es den oberen Finger wie einen Daumen darumlegte, und dann riß der bepelzte Rüssel das ganze Büschel mitsamt den Wurzeln aus dem Boden. Nachdem das Mammut einen Teil der anhaftenden Erde abgeschüttelt hatte, beförderte es das Büschel in sein Maul und griff, noch während es kaute, nach der nächsten Portion.
Die Verheerung, die eine Mammutherde bei ihrer langenWanderung durch die Steppe zurückließ, war beträchtlich, jedenfalls dem Anschein nach. Aber obwohl sie das Gras mit den Wurzeln ausrissen und die Rinde von den Bäumen schälten, erwiesen sie der Steppe und anderen Tieren zugleich eine Wohltat. Indem sie das Hochgras mit seinen holzigen Halmen und kleine Bäume beseitigten, schufen sie Platz für Kräuter und frische Gräser - Pflanzen, die für etliche andere Bewohner der Steppe lebensnotwendig waren.
Ayla zitterte plötzlich und spürte tief in ihren Knochen eine seltsame Erregung. Dann fiel ihr auf, daß die Mammute aufgehört hatten zu fressen. Mehrere von ihnen hoben den Kopf, bewegten ihn vor und zurück und blickten mit aufgestellten Ohren nach Süden. Jondalar fiel auf, daß mit der dunkelroten Kuh, die alle Bullen verfolgt hatten, eine Veränderung vorgegangen war. Sie wirkte nicht mehr erschöpft, sondern schien auf irgendetwas zu warten. Plötzlich gab sie ein tiefes, vibrierendes, rumpelndes, Geräusch von sich. Ayla spürte, wie eine Gänsehaut sie überlief, als aus Südwesten eine Antwort kam, die sich anhörte wie fernes Donnergrollen.
"Jondalar!" sagte sie. "Sieh nur - dort!"
Er schaute in die Richtung, in die sie gewiesen hatte. Auf sie zu stürmte in einer wie von einem Wirbelwind hochgejagten Staubwolke ein riesiges, hell rostfarbenes Mammut mit gewaltigen, nach oben gebogenen Stoßzähnen. An der Stelle, an der sie nebeneinander aus dem Oberkiefer hervorkamen, hatten sie einen unvorstellbaren Umfang. Sie wichen auseinander, wuchsen abwärts, bogen sich dann aufwärts und spiralig nach innen und verjüngten sich immer weiter, bis sie schließlich in abgenutzten Spitzen endeten.
Die dick bepelzten Eiszeitelefanten waren ziemlich kompakt gebaut und erreichten nur selten eine Schulterhöhe von über elf Fuß; aber ihre Stoßzähne hatten Ausmaße, die die jeder anderen Art ihrer Verwandtschaft weit übertrafen. Am Ende der etwa siebzigjährigen Lebenszeit konnte jeder der gewaltigen Elfenbeinschäfte eines Mammutbullen eine Länge von sechzehn Fuß und ein Gewicht von zweihundertsechzig Pfund haben.
Ein starker, scharfer, moschusähnlicher Geruch ging demBullen voraus und löste bei den Kühen heftige Erregung aus. Als er die Lichtung erreicht hatte; rannten sie alle auf ihn zu, setzten mit pladderndem Urin ihre Duftmarken, quiekten, trompeteten und rumpelten ihren Gruß. Sie umringten ihn, drehten sich und
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