Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
dazu bereit gewesen. Aber dann starb der alte Zelandonii, und als sich Joconan an den neuen um Rat wandte, riet er ihm, er solle Marthona nehmen. Damals glaubte ich, er hätte ihm dazu geraten, weil Marthona schön war und kein
schiefes Gesicht hatte; aber ich weiß jetzt, es war, weil mein Onkel ihnen gesagt hatte, daß er mich zurückhaben wollte. Ich habe nicht an der Zeremonie teilgenommen, durch die sie miteinander verbunden wurden. Ich war zu verbittert und enttäuscht. Ich machte mich wenige Tage, nachdem sie es mir gesagt hatten, auf den Heimweg."
"Du bist allein zurückgereist?" fragte Jondalar. "Ganz allem über den Gletscher?"
"Ja", sagte S'Armuna.
"Es gibt nicht viele Frauen, die eine so weite Reise machen. Zumal ohne Begleitung. Das war gefährlich und erforderte viel Mut", sagte Jondalar.
"Gefährlich war es schon. Ich bin beinahe in eine Gletscher-spalte gefallen. Aber ich weiß nicht, ob es viel Mut erforderte. Ich glaube, meine Verbitterung hat mir geholfen. Aber als ich zurückkam, hatte sich hier alles verändert. Ich war viele Jahre fortgewesen. Meine Mutter und meine Tante waren zusammen mit meinen Vettern und Brüdern nach Norden gezogen, wo viele andere S'Armunai leben, und meine Mutter war dort gestorben. Mein Onkel war auch tot; ein anderer Mann war Anführer, ein Fremder namens Brugar. Ich weiß nicht, woher er kam. Er war nicht gerade schön, aber recht anziehend auf seine ungehobelte Weise. Doch er war grausam und gemein."
"Brugar ... Brugar ..." sagte Jondalar. Er schloß die Augen und versuchte sich zu erinnern, wo er den Namen schon einmal gehört hatte. "War das nicht Attaroas Gefährte?"
S'Armuna stand auf, plötzlich sehr erregt. "Möchtet ihr noch etwas Tee?" fragte sie. Ayla und Jondalar nickten. Sie brachte jedem von ihnen einen Becher des frisch aufgegossenen Kräutergetränks und nahm sich selbst einen. Aber bevor sie sich wieder setzte, sah sie die beiden Besucher lange an. "Ich habe das noch nie jemandem erzählt", sagte sie. "Und warum erzählst du es uns?" fragte Ayla. "Damit ihr alles besser versteht." Sie wandte sich an Jondalar. "Ja, Brugar war Attaroas Gefährte. Gleich nachdem er Anführer geworden war, begann er, die Dinge hier zu verändern. Er fing damit an, den Männern
einen höheren Rang einzuräumen als den Frauen. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten. Frauen mußte sitzen bleiben und warten, bis sie die Erlaubnis erhielten, ihre Meinung zu sagen. Frauen durften keine Waffen anrühren. Es erschien zunächst bedeu-tungslos, und die Männer genossen ihre Macht. Doch als die erste Frau totgeschlagen wurde, weil sie es gewagt hatte, offen zu sprechen, begriffen die anderen, wie ernst die Sache war. Aber sie wußten inzwischen nicht mehr, wie es dazu gekom-men war oder wie sie die Entwicklung aufhalten sollten. Brugar verstand es, das Böse in den Männern zu wecken. Er hatte eine kleine Schar von Anhängern, und ich glaube, die übrigen wag-ten es einfach nicht, ihre Teilnahme zu verweigern."
"Ich wüßte gern, woher er solche Vorstellungen hatte", sagte Jondalar.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte Ayla: "Wie sah dieser Brugar aus?" "Er war ein Mann mit groben Gesichts-zügen, ungehobelt, wie gesagt; aber er konnte recht charmant und anziehend sein, wenn er wollte."
"Gibt es viele Clan-Leute in dieser Gegend?" fragte Ayla.
"Früher ja; aber jetzt nicht mehr. Im Westen von hier gibt es noch viele. Warum?"
"Wie sind die S'Armunai ihnen gegenüber eingestellt? Vor allem denen von gemischten Geistern?"
"Nun, man verabscheut sie. Nicht anders als bei den Zel-andonii. Einige Männer haben Flachschädel-Frauen als Ge-fährtinnen genommen, und die Kinder aus diesen Verbind-ungen werden geduldet. Aber sie werden nicht gut aufge-nommen."
"Hätte Brugar von gemischten Geistern gewesen sein können?" fragte Ayla.
"Warum willst du das wissen?"
"Weil ich glaube, daß er bei denen, die ihr Flachschädel nennt, gelebt hat, vielleicht sogar unter ihnen aufgewachsen ist", erwiderte Ayla.
"Wie kommst du darauf?" fragte die Schamanin.
"Weil das, was du beschreibst, die Art der Clan-Leute ist."
"Clan-Leute?"
"So nennen die Flachschädel sich selbst", erläuterte Ayla. "Aber wenn er so gut sprechen konnte, um Charme zu entwickeln, konnte er nicht immer bei ihnen gelebt haben. Wahrscheinlich wurde er nicht bei ihnen geboren, sondern stieß erst später zu ihnen. Und als Mischling war er bei ihnen nicht sehr angesehen; vielleicht wurde er sogar als
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