Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
hatte, als er entdeckte, wer sie aufgezogen hatte, und herausfand, daß sie einen Sohn von gemischten Geistern hatte.
"Woher weißt du, daß sie sie nicht schon kennengelernt hat?" fragte Jondalar.
S'Armuna dachte über die Frage nach. Woher hatte sie es ge-wußt? Sie lächelte den Mann an. "Du sagtest, du wolltest nach Hause, und sie sagte seine Sprache nicht ihre." Plötzlich kam ihr ein Gedanke, eine Offenbarung. "Die Sprache! Der Akzent! Jetzt weiß ich, wo ich ihn schon gehört habe. Brugar hatte den gleichen Akzent! Nicht ganz so stark wie deiner, Ayla, obgleich er seine eigene Sprache nicht so gut sprach wie du Jondalars. Aber er muß diese Eigenart - es ist nicht eigentlich ein Akzent - angenommen haben, als er bei den Flachschädeln lebte. Es liegt an dem Klang, an der Aussprache gewisser Wörter, und jetzt, da ich es höre, ist es mir klar."
Ayla errötete. Sie hatte soviel Mühe darauf verwendet, richtig zu sprechen, aber sie war nie imstande gewesen, bestimmte Laute zu bilden. Meist war es ihr gleichgültig gewesen, wenn die Leute es bemerkten; doch S'Armuna ließ die Sache so wichtig erscheinen.
Die Schamanin bemerkte ihre Verlegenheit. "Es tut mir leid, Ayla. Ich wollte dich nicht kränken. Du sprichst Zelan-donii wirklich sehr gut, wahrscheinlich besser als ich, weil ich schon soviel verlernt habe. Und es ist auch nicht eigentlich ein Akzent, den du hast. Es ist etwas anderes. Ich bin überzeugt, daß die meisten Leute es nicht einmal merken. Aber du hast mir geholfen, Brugar besser zu verstehen; und das hilft mir, Attaroa zu verstehen."
"Hilft dir, Attaroa zu verstehen?" fragte Jondalar. "Ich wünschte, ich könnte verstehen, wie jemand so grausam sein kann."
"Sie war nicht immer so. Ich habe sie bewundert, als ich zurückkam, obwohl sie mir leid tat. Aber irgendwie war sie wie kaum ein andere Frau bereit für Brugar."
"Bereit? Das ist ein seltsamer Ausdruck. Bereit für was?"
"Bereit für seine Grausamkeit", erklärte S'Armuna. "Attaroa wurde als junges Mädchen mißbraucht. Sie hat kaum jemals darüber gesprochen; aber sie war davon überzeugt, daß ihre eigene Mutter sie haßte. Ich weiß von anderer Seite, daß ihre Mutter sie tatsächlich verlassen hat. So glaubte man jedenfalls. Sie ging fort, und man hat nie wieder von ihr gehört. Attaroa wurde schließlich von einem Mann aufgenommen, dessen Gefährtin unter verdächtigen Umständen im Wochenbett gestorben war - und das Kind mit ihr. Der Verdacht kam auf, als man herausfand, daß er Attaroa schlug und mit ihr schlief, bevor sie noch eine Frau war. Aber kein anderer wollte die Verantwortung für sie übernehmen. Es hatte etwas mit ihrer Mutter zu tun, mit ihrer Herkunft. Jedenfalls wurde Attaroa von dem Mann großgezogen und durch seine Grausamkeit ver-dorben. Als er schließlich starb, trafen einige Leute Vor-kehrungen, sie mit dem neuen Anführer des Lagers zusam-menzutun."
"Ohne ihre Einwilligung?" fragte Jondalar.
"Sie arrangierten ein Zusammentreffen mit Brugar. Wie gesagt, er konnte sehr charmant sein; und ich zweifle nicht daran, daß er sie äußerst attraktiv fand."
Jondalar nickte. Er hatte selbst bemerkt, daß sie recht attraktiv sein konnte.
"Ich glaube nicht, daß sie der Verbindung ablehnend gegenüberstand", fuhr S'Armuna fort. "Sie sah darin die Chance eines Neubeginns. Doch dann mußte sie entdecken, daß der Mann, mit dem sie zusammengegeben wurde, noch schlimmer war als der, den sie gekannt hatte. Brugars Wonnen waren immer verbunden mit Schlägen und Erniedrigungen. Ich will nicht sagen, daß er sie liebte, aber er brachte ihr durchaus Gefühle entgegen. Es war einfach nur so seine Art. Und sie war die einzige, die es wagte, sich ihm zu widersetzen - trotz allem, was er ihr antat."
S'Armuna schwieg, schüttelte den Kopf und fuhr dann fort: "Brugar war ein starker Mann, sehr stark, und er liebte es, Leute zu verletzen, vor allem Frauen. Ich glaube wirklich, er genoß es, Frauen Schmerz zuzufügen. Du hast gesagt, daß die Männer der Flachschädel ihre Frauen ungestraft schlagen dürfen. Das mag damit zusammenhängen. Aber Brugar liebte Attaroas Widerstand. Sie war ein gutes Stück größer als er, und sie war selbst sehr stark. Es reizte ihn, ihren Widerstand zu brechen, und er mochte es, wenn sie mit ihm kämpfte. Es gab ihm eine Entschuldigung, ihr weh zu tun, und das schien ihm ein Gefühl von Macht zu verleihen."
Ayla schauerte zusammen. Sie erinnerte sich an eine ähnliche Situation und empfand für
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