Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
die Feuerstelle denen ähnelte, die die Mamutoi benutzt hatten. Ayla blickte sich um und suchte nach der Öffnung für die Luftzufuhr. Um Knochen zu verbrennen, brauchte man ein sehr heißes Feuer, das nur durch viel Luft in Gang zu halten war. Die Feuer der Mamutoi wurden durch den ständig wehenden Wind angefacht, der mittels schmaler, durch Luftklappen regulierbarer Windkanäle nach innen geleitet wurde. Jondalar untersuchte das Innere des zweiten Raums genauer und gelangte zu ähnlichen Überlegungen. Er war überzeugt, daß hier sehr heiße Feuer über längere Zeiträume hinweg gebrannt hatten. Er vermutete, daß die kleinen Ton-gegenstände auf den Regalen einem solchen Feuer ausgesetzt werden sollten.
Er hatte recht gehabt, als er gesagt hatte, daß er noch nie so etwas wie die Mutter-Statuette gesehen habe, die S'Armuna ihm gezeigt hatte. Die Figur war nicht aus einem Material gefertigt, das in der Natur vorkam. Sie bestand aus gebranntem Ton - dem ersten Material, das von menschlicher Hand und durch menschliches Ingenium geschaffen wurde. Die Feuerkammer war kein Kochherd, sondern ein Brennofen.
Und die ersten Brennöfen wurden nicht erfunden, um nützliche, wasserdichte Gefäße herzustellen. Lange bevor Töpferwaren gebrannt wurden, wurden kleine Keramik-Skulpturen im Feuer gehärtet. Die Figuren, die sie auf den Regalen gesehen hatten, ähnelten Tieren und Menschen. Aber die Darstellungen von Frauen und anderen Lebewesen waren keine naturgetreuen Abbilder. Es waren Symbole, Gleichnisse, die mehr darstellen sollten, als sie zeigten: eine Analogie, eine geistliche Ähnlichkeit. Es waren Kunstwerke. Bevor der Mensch nützliche Geräte schuf, schuf er Kunstwerke.
Jondalar wies auf die Feuerstelle und sagte zu der Schamanin: "Das ist der Platz, an dem das heilige Feuer der Mutter brennt?"
S'Armuna nickte. Sie wußte, daß er ihr jetzt glaubte. Ayla hatte es gewußt, bevor sie den Raum sah. Jondalar hatte etwas länger dazu gebraucht.
Ayla war froh, als die Frau sie hinausführte. Sie wußte nicht, ob es an der Hitze in dem kleinen Raum, an den Tonfiguren oder an etwas anderem lag, aber sie hatte sich unbehaglich gefühlt. Sie spürte, daß es dort drinnen gefährlich sein konnte.
"Wie hast du das entdeckt?" fragte Jondalar und machte eine Armbewegung, die sowohl die Keramikgegenstände als auch den Brennofen einschloß.
"Die Mutter hat mich geleitet", sagte die Frau.
"Davon bin ich überzeugt, aber wie?" fragte er nochmals.
S'Armuna lächelte über seine Beharrlichkeit. Es überraschte sie nicht, daß ein Sohn Marthonas so wißbegierig war.
"Der Einfall kam mir, als wir eine Erdhütte bauten", sagte sie. "Weißt du, wie wir sie machen?"
"Ich glaube schon. Eure sind nicht viel anders als die Hütten der Mamutoi; und wir haben Talut und seinen Leuten geholfen, als sie das Löwen-Lager erweiterten", sagte Jondalar. "Sie begannen damit, daß sie ein Gerüst aus Mammutknochen errichteten. Sie deckten es mit einer dicken Lage von
Weidenruten, auf die sie eine Schicht von Gräsern und Schilf legten. Dann kam eine Lage Grassoden. Und darüber eine letzte Schicht aus Lehm, der beim Trocknen sehr hart wurde."
"So ungefähr machen wir es auch", sagte S'Armuna. "Und als wir die Lehmschicht aufbrachten, offenbarte die Mutter mir den ersten Teil ihres Geheimnisses. Wir waren nahezu fertig; aber es wurde schon dunkel, und wir zündeten ein großes Feuer an. Die Lehmschicht begann hart zu werden, und ein Brocken davon fiel versehentlich ins Feuer. Es war ein heißes Feuer, bei dem wir Knochen verbrannten, und es brannte fast die ganze Nacht. Am Morgen befahl Brugar mir, die Asche fortzuräumen; und mir fiel auf, daß einige Lehmstücke hart geworden waren. Eines davon sah aus wie ein Löwe."
"Der Löwe ist Aylas Totem", bemerkte Jondalar. Die Scha-manin blickte zu ihr hinüber und nickte kaum merklich; dann fuhr sie fort: "Als ich entdeckte, daß die Figur des Löwen sich nicht in Wasser auflöste, beschloß ich, ein paar weitere zu machen. Es bedurfte noch vieler Versuche und anderer Hinweise der Mutter, bevor ich begriff, was zu tun war."
"Warum verrätst du uns deine Geheimnisse? Um uns deine Macht zu zeigen?" fragte Ayla.
Die Frage war so direkt, daß die Frau überrascht aufblickte; doch dann lächelte sie. "Glaube nicht, daß ich euch all meine Geheimnisse verrate. Ich enthülle euch nur, was offensichtlich ist. Auch Brugar glaubte, meine Geheimnisse zu kennen; aber er wurde bald eines Besseren
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