Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
Zeichen für "Dieser Mann heißt ..." und sprach seinen Namen aus, aber langsamer und nur den Vornamen: "Jondalar."
Der Mann schloß die Augen, konzentrierte sich, öffnete sie wieder, atmete tief ein und sprach laut: "Dyondar."
Jondalar lächelte zustimmend. Die kehlige Stimme neigte dazu, die Vokale zu verschlucken. Und es klang seltsam vertraut. Dann dämmerte es ihm. Natürlich! Ayla! Ihre Sprechweise hatte immer noch diese Eigenart, nur nicht mehr so stark. Das war ihr ungewöhnlicher Akzent. Kein Wunder, daß ihn niemand identifizieren konnte. Sie hatte einen Clan-Akzent, und keiner ahnte, daß diese Leute sprechen konnten!
Es überraschte Ayla, wie gut der Mann Jondalars Namen ausgesprochen hatte. Sie fragte sich, ob dieser Mann schon früher Berührung mit den Anderen gehabt hatte. Wenn er für seinen Stamm mit denen, die man als die Anderen kannte, vermittelte, so ließ das auf einen hohen Rang schließen. Verständlich, daß er um so vorsichtiger sein mußte, Verpflichtungen gegenüber Anderen einzugehen, besonders wenn er ihren Rang nicht kannte. Natürlich wollte er sich nicht unter seinen Stand begeben, aber Verpflichtung war Verpflichtung, und ob er oder seine Gefährtin es nun wahr-haben wollten oder nicht, sie brauchten Hilfe.
Der Mann, der Jondalar gegenübersaß, schlug einmal an seine Brust und beugte sich leicht vornüber. "Guban", sagte er.
Jondalar hatte mit dem Namen ebensolche Mühe wie Guban zuvor mit dem seinigen, und Guban nahm seine falsche Aussprache ebenso großzügig an.
Ayla war erleichtert. Ein Anfang war gemacht! Sie schaute die Frau an und wunderte sich immer noch, daß das Haar der Clan-Frau heller als ihr eigenes war. Ihr Kopf war mit einem Flaum weicher, fast weißblonder Locken bedeckt, sie war jung und sehr attraktiv. Vermutlich war sie die zweite Frau an seinem Herdfeuer. Guban war ein Mann in der Blüte seiner Jahre und hatte diese Frau vielleicht von einem anderen Clan zu einem stattlichen Preis bekommen.
Die Frau sah Ayla an und dann schnell wieder weg. Ayla wunderte sich. Sie hatte Angst und Sorgen in den Augen der Frau gesehen und betrachtete sie unauffällig genauer. Wurde sie um die Taille herum nicht dicker? Spannte ihr Fellkleid nicht etwas um die Brust? Sie war schwanger! Kein Wunder, daß sie sich Sorgen machte. Ein Mann mit einem schlecht verheilten, gebrochenen Bein wäre nicht länger in seiner Blüte. Und wenn dieser Mann einen hohen Rang besaß, hatte er zweifellos auch große Verantwortlichkeiten. Sie mußte Guban irgendwie dazu bringen, daß er sich von ihr helfen ließ, dachte Ayla.
Die beiden Männer saßen immer noch auf dem Boden und musterten einander. Jondalar wußte nicht, was er nun tun sollte, und Guban wartete einfach ab, was als nächstes geschehen würde. Schließlich wandte sich Jondalar in seiner Verzweiflung an Ayla.
"Diese Frau ist Ayla", sagte er mit einfachen Zeichen und sprach dann ihren Namen aus.
Zuerst fürchtete Ayla, daß er vielleicht einen gesellschaftlichen Fehler begangen hätte. Gubans Reaktion allerdings schien das nicht zu bestätigen. Daß er sie so rasch vorgestellt hatte, sprach für das hohe Ansehen, das sie genoß; es war einer Medizinfrau durchaus angemessen. Jondalar fuhr fort, als hätte er Aylas Gedanken gelesen.
"Ayla ist heilkundig. Gute Medizinfrau. Will Guban helfen."
Für den Mann vom Clan waren Jondalars Gesten kaum mehr als Kindersprache. Sie hatten keine Bedeutungsnuancen, keine feinen Schattierungen, keine Schwierigkeitsgrade, aber an seiner Aufrichtigkeit konnte kein Zweifel bestehen. Es war schon erstaunlich genug, einem Mann der Anderen zu begegnen, der überhaupt ordentlich sprechen konnte. Die
meisten plapperten oder nuschelten oder knurrten wie Tiere. Sie waren wie Kinder mit ihrem übermäßigen Lautschwall, aber schließlich galten die Anderen nicht als sehr aufgeweckt.
Die Frau dagegen konnte Bedeutungen und Nuancen überraschend gut verstehen und sich klar und ausdrucksreich mitteilen. Mit unauffälligem Geschick hatte sie auch Dyondars Aussagen übersetzt und die Verständigung erleichtert. So unwahrscheinlich es auch schien, daß sie von einem Clan aufgezogen und so weit gereist war, zeigte sie solche Sprachgewandtheit, daß man fast an ihre Herkunft glauben mochte.
Guban hatte noch nie von diesem Clan gehört, und er kannte viele. Darüber hinaus war ihm die Alltagssprache, die sie gebraucht hatte, ganz fremd. Und doch beherrschte diese Frau der Anderen die alten Zeichen perfekt.
Weitere Kostenlose Bücher