Zyklus der Erdenkinder 05 - Ayla und der Stein des Feuers
versetzten. Er drückte noch einmal ihre Hand, sagte aber nichts und wartete gespannt auf ihre Antwort. Sie entspannte sich ein wenig.
»Mein Clan lebte am südlichen Ende der Landbrücke, die weit in den Beran-See hineinreicht. Kurz vor ihrem Tod sagte Iza zu mir, ich solle nach meinen eigenen Leuten suchen. Sie würden im Norden auf dem Festland leben. Als ich mich aber schließlich auf die Suche machte, konnte ich sie nicht finden. Als ich auf das Tal stieß, war der Sommer halb vorüber, und ich wollte vermeiden, dass der Winter kam und ich nicht dafür gerüstet war. Das Tal war ein guter Ort, windgeschützt und mit einem Bach, vielen Pflanzen und Tieren und sogar einer klei nen Höhle. Ich beschloss, den Winter dort zu verbringen, und blieb dann letzten Endes drei Jahre. Nur Winnie und Baby leis teten mir Gesellschaft. Vielleicht wartete ich ja auf Jondalar«, sagte sie und lächelte ihn an.
»Ich fand ihn im Spätfrühling«, fuhr sie fort. »Als er so weit genesen war, dass er auf Reisen gehen konnte, war das Ende des Sommers schon nahe. Wir beschlossen, eine kleine Erkun dungsreise zu unternehmen. Jede Nacht lagerten wir an einem anderen Ort und entfernten uns weiter von dem Tal, als ich das je getan hatte. Wir begegneten Talut, dem Anführer des Lö wenlagers, und er lud uns ein, ihre Gäste zu sein. Wir blieben bis zum Beginn des darauffolgenden Sommers bei ihnen, und während dieser Zeit haben sie mich adoptiert. Sie wollten, dass auch Jondalar blieb und einer von ihnen wurde, aber auch da mals hatte er schon geplant, hierher zurückzukehren.«
»Und darüber bin ich froh«, sagte Marthona.
»Du bist anscheinend sehr vom Glück gesegnet, wenn so vie le Menschen dich gern adoptieren möchten«, meinte Zelando ni. Sie vernahm die außergewöhnliche Geschichte, die Ayla erzählte, mit Staunen und Zweifel. Sie war nicht allein mit ih ren Vorbehalten. Es klang alles recht weit hergeholt, und sie hatte nach wie vor mehr Fragen, als sie Antworten bekommen hatte.
»Ich bin sicher, dass das zunächst Nezzies Einfall war - das war Taluts Gefährtin. Ich glaube, sie hat ihn überredet, weil ich Rydag half, als er eine schlimme ... als er in Not war. Er war schwach an ...« Ayla wusste die richtigen Worte nicht, und das bekümmerte sie. Jondalar hatte sie ihr nicht beibringen können. Er hätte ihr die genauen Bezeichnungen für verschiedene Sor ten von Feuerstein nennen können oder Ausdrücke dafür, wie man sie zu Werkzeugen und Waffen formte. Begriffe aber, die mit Heilen und Arzneien zu tun hatten, gehörten nicht zu sei nem Wortschatz. Sie wandte sich an ihn und fragte in Mamu toi: »Was ist euer Wort für Fingerhut? Für jene Pflanze, die ich immer für Rydag gesammelt habe?«
Er sagte es ihr, doch noch ehe Ayla es wiederholte und zu er klären begann, hatte Zelandoni verstanden, was damals ge schehen war. Sobald sie Jondalar das Wort sagen hörte, stan den ihr die Verwendungsmöglichkeiten der Pflanze vor Augen. Sie hatte eine recht genaue Vorstellung davon, dass bei dem Menschen, von dem Ayla sprach, eine Schwäche des Organs vorlag, das Blut durch den Körper pumpte. Man konnte das Herz unterstützen, wenn man aus Fingerhut die geeigneten Stoffe gewann. Sie fand auch den Wunsch einleuchtend, eine Heilerin zu adoptieren, die so kenntnisreich war, dass sie eine potenziell gefährliche Pflanze wie Fingerhut nutzbringend ein zusetzen wusste. Außerdem war nachvollziehbar, dass die Ge fährtin eines Anführers, die eine herausragende Stellung inne hatte, die Adoption Aylas wohl recht zügig hatte in die Wege leiten können.
Sie ließ Ayla darlegen, was sie selbst bereits erraten hatte, und fragte dann, um eine letzte Vermutung zu bestätigen: »War Rydag ein Kind?«
»Ja«, erwiderte Ayla und dachte einen Augenblick lang voller Trauer an ihn zurück.
Die Beziehung zwischen Ayla und den Mamutoi glaubte Ze landoni nun verstanden zu haben, doch die Sache mit dem Clan irritierte sie noch immer. Sie beschloss, das Thema ein wenig anders anzugehen: »Ich weiß mittlerweile, dass du über große heilerische Fähigkeiten verfügst, Ayla, aber oft tragen die, die besonderes Wissen erwerben, ein Zeichen, an dem man sie erkennen kann. So wie dieses hier.« Sie berührte eine Tätowie rung an ihrer Stirn über der linken Schläfe. »Bei dir sehe ich kein solches Zeichen.«
Ayla betrachtete sich die Tätowierung eingehend. Es handelte sich um ein Rechteck, das in zwei Reihen von je drei kleineren, nahezu quadratischen
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