Zyklus der Erdenkinder 05 - Ayla und der Stein des Feuers
werden.
»Hast du jemals das Fell eines lebendigen Wolfs berührt, Jo harran?«, fragte sie und schaute zu ihm hoch. »Du kannst spü ren, dass es ein wenig borstig ist«, sagte sie und führte ihm die Hand, damit er das zottelige Halsfell des Tieres fühlte. »Er ist immer noch dabei, sich zu haaren, und es juckt ihn oft. Deshalb gefällt es ihm sehr, wenn man ihn hinter den Ohren krault.« Sie zeigte Joharran, wie er es machen sollte.
Joharran befühlte den Pelz, nahm aber vor allem die Körper wärme wahr. Er hatte wirklich einen lebendigen Wolf vor sich! Dem Raubtier aber schien es gar nichts auszumachen, dass er es berührte.
Ayla merkte, dass Joharrans Hand nicht mehr so verkrampft war und dass er wirklich die Stelle zu streicheln versuchte, die sie ihm gezeigt hatte. »Lass ihn noch einmal an deiner Hand riechen.«
Als Joharran die Hand zur Nase des Wolfs führte, weiteten sich seine Augen erneut, doch diesmal vor Überraschung. »Der Wolf hat mich an der Hand geleckt!«, sagte er, ohne recht zu wissen, ob er das nun als erfreulich oder bedrohlich empfinden sollte. Dann sah er, wie der Wolf Ayla über das Gesicht leckte und ihr das sehr zu gefallen schien.
»Ja, du warst brav, Wolf«, sagte sie lächelnd, während sie ihn streichelte und ihm die Mähne zauste. Dann stand sie auf und klopfte vorn auf ihre Schultern. Der Wolf sprang an ihr hoch und setzte die Pfoten auf die angezeigten Stellen. Als sie ihm den Hals darbot, leckte er ihn ab, um sodann mit einem tiefen Knurren, aber höchst behutsam ihr Kinn in sein Maul zu neh men.
Jondalar hörte, wie Joharran und die anderen vor Staunen nach Luft schnappten, und machte sich klar, wie furchterregend der ihm so vertraute Akt wölfischer Zuneigung jenen erschei nen musste, die nicht verstanden, was da geschah. In der Miene seines Bruders mischten sich Furcht und Verblüffung: »Was tut er mit ihr?«
Folara fragte fast gleichzeitig: »Bist du sicher, dass da auch nichts passiert?« Sie konnte nicht länger stillhalten, und auch bei den anderen entlud sich die Anspannung in fahrigen Gesten und Bewegungen.
Jondalar lächelte. »Ja, für Ayla besteht keine Gefahr. Er hat sie gern und würde ihr nie weh tun. Das ist die Art, wie Wölfe ihre Zuneigung zeigen. Auch ich habe eine Weile gebraucht, um mich daran zu gewöhnen, und ich kenne Wolf so lange wie sie, seit er ein wuscheliger kleiner Welpe war.«
»Aber das ist kein Welpe!«, sagte Joharran. »Das ist ein gro ßer Wolf! Das ist der größte Wolf, den ich je gesehen habe! Er könnte ihr den Hals wegreißen!«
»Ja, das könnte er. Ich habe gesehen, wie er einer Frau den Hals weggerissen hat, einer Frau, die Ayla töten wollte. Wolf beschützt sie.«
Den zuschauenden Zelandonii entfuhr ein kollektiver Seuf zer, als der Wolf von Ayla abließ und wieder neben ihr stand. Sein Maul stand offen, so dass die Zunge zur Seite heraushing und die Zähne zu sehen waren. Das war sein Wolfsgrinsen, mit dem er zeigte, wie zufrieden er mit sich war.
»Macht er das immer?«, fragte Folara. »Bei allen?«
»Nein«, sagte Jondalar. »Nur bei Ayla und manchmal bei mir, wenn er sich besonders wohl fühlt, und nur, wenn wir ihn lassen. Er ist gut erzogen und würde keinem Menschen weh tun - außer wenn Ayla bedroht wird.«
»Und was ist mit Kindern?«, wollte Folara wissen. »Wölfe haben es oft auf die Schwachen und die Jungen abgesehen.« Die Gesichter der Umstehenden verrieten ebenfalls Besorgnis.
»Wolf liebt Kinder«, erklärte Ayla rasch, »und sein Beschüt zerinstinkt ist bei ihnen sehr stark, besonders bei den ganz kleinen oder schwachen. Er ist mit den Kindern des Löwenla gers aufgewachsen.«
Jondalar fügte hinzu: »Am Löwen-Herdfeuer gab es einen sehr schwachen und kränklichen Jungen. Ihr hättet sehen sol len, wie sie miteinander gespielt haben. Wolf gab immer sehr auf ihn Acht.«
»Das ist ein sehr ungewöhnliches Tier«, sagte einer der Män ner. »Es ist schwer zu glauben, dass ein Wolf sich so ... unwöl fisch verhält.«
»Du hast Recht, Solaban«, sagte Jondalar. »Sein Verhalten kommt Menschen oft sehr unwölfisch vor, aber wenn wir Wöl fe wären, würden wir das ganz anders sehen. Ayla sagt, dass er zusammen mit Menschen aufgewachsen ist und sie deshalb für sein Rudel hält. Er behandelt Menschen so, als wären sie Wöl fe.«
»Geht er jagen?«, fragte der Mann, den Jondalar Solaban ge nannt hatte.
»Ja«, antwortete Ayla. »Manchmal jagt er allein und für sich selbst, manchmal hilft er uns bei der
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