Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
so weit voneinander entfernt lagen, aber immer war irgendetwas dazwischengekommen, und dann war es Winter geworden, und Aylas Schwangerschaft näherte sich dem Ende. All die aufgestauten Erwartungen machten ihren Besuch zu einem Ereignis, vor allem, da die Erste beschlossen hatte, gleichzeitig auch ihr Treffen mit den hiesigen Zelandonia abzuhalten.
»Wer auch immer den Pferdekopf in die Höhle da unten geritzt hat, muss mit Pferden vertraut gewesen sein. Er ist sehr gut ausgeführt«, sagte Ayla.
»Das fand ich auch immer, aber es freut mich, das von jemandem zu hören, der Pferde so gut kennt wie du«, erwiderte Sergenor.
Wolf saß auf den Hinterpfoten, ließ die Zunge seitlich aus dem Maul hängen und beäugte den Mann. Ayla wusste, dass Wolf erwartete, vorgestellt zu werden. Er hatte gesehen, wie sie den Anführer der Siebten Höhle begrüßte, und war daran gewöhnt, jedem Fremden, dem sie sich auf diese Weise näherte, ebenfalls vorgestellt zu werden.
»Ich wollte dir auch danken, dass ich Wolf mitbringen durfte. Er ist immer unglücklich, wenn er nicht in meiner Nähe sein kann, und jetzt geht es ihm mit Jonayla genauso, da er Kinder über alles liebt.«
»Der Wolf liebt Kinder?«, fragte Sergenor.
»Wolf ist nicht mit anderen Wölfen aufgewachsen, er wurde mit den Kindern der Mamutoi im Löwenlager großgezogen und hält Menschen für sein Rudel«, erklärte Ayla. »Er hat gesehen, dass ich dich begrüßt habe, und jetzt erwartet er, dich kennenzulernen. Er hat gelernt, jeden zu akzeptieren, dem ich ihn vorstelle.«
Sergenor runzelte die Stirn. »Wie stellt man sich einem Wolf vor?« Er blickte zu Kimeran und sah, wie der grinste.
Der jüngere Mann erinnerte sich daran, wie er Wolf vorgestellt worden war, und obwohl ihn das Raubtier immer noch etwas nervös machte, amüsierte er sich doch ein wenig über das Unbehagen des älteren Mannes.
Ayla gab Wolf ein Zeichen, zu ihr zu kommen, kniete sich hin, legte den Arm um ihn und griff nach Sergenors Hand. Er riss sie zurück.
»Wolf muss nur daran schnüffeln, damit er mit dir vertraut wird. Auf diese Weise lernen Wölfe sich kennen«, beruhigte ihn Ayla.
»Hast du das auch getan, Kimeran?« Sergenor bemerkte, dass der größte Teil seiner Höhle und deren Besucher zuschauten.
»Ja. Letzten Sommer, als sie zur Dritten Höhle kamen, um vor dem Sommertreffen zu jagen. Jedes Mal, wenn ich danach den Wolf beim Treffen sah, hatte ich das Gefühl, dass er mich erkennt, obwohl er mich nicht beachtete.«
Eigentlich wollte Sergenor nicht, aber da so viele Menschen zuschauten, fühlte er sich gedrängt nachzugeben. Niemand sollte ihn für zu ängstlich halten, etwas zu tun, was der junge Anführer bereits getan hatte. Langsam, zögernd streckte er dem Tier die Hand entgegen. Ayla nahm sie und führte sie an die Nase des Raubtiers. Wolf rümpfte die Nase und entblößte mit geschlossenem Maul die Zähne, wodurch seine Reißzähne besonders stark hervortraten. Ein Ausdruck, den Jondalar immer als Wolfs selbstzufriedenes Grinsen bezeichnete. Doch Sergenor sah das anders. Ayla spürte sein Zittern und nahm den sauren Geruch seiner Angst wahr. Sie wusste, dass Wolf ihn ebenfalls witterte.
»Wolf wird dir nichts tun, das versichere ich dir«, sagte Ayla leise. Sergenor zwang sich, die Hand ruhig zu halten, während Wolf sein mit Zähnen bewehrtes Maul nahe an die Hand brachte. Wolf schnüffelte und leckte.
»Was macht er da?«, fragte Sergenor. »Will er wissen, wie ich schmecke?«
»Nein, ich glaube, er versucht dich zu beruhigen, wie er es bei einem Welpen tun würde. Hier, berühre seinen Kopf.« Sie führte Sergenors Hand von den scharfen Zähnen fort und sprach mit besänftigender Stimme. »Hast du schon mal das Fell eines lebenden Wolfs gefühlt? Merkst du, dass es hinter seinen Ohren und um den Hals ein wenig dicker und rauer ist? Er mag es, wenn man ihn hinter den Ohren krault.« Als sie schließlich losließ, zog der Mann seine Hand sofort zurück und hielt sie mit der anderen fest.
»Jetzt wird er dich erkennen«, sagte Ayla. Noch nie war ihr jemand begegnet, der so viel Angst vor Wolf hatte und so tapfer darüber hinweggekommen war. »Hast du schon vorher Erfahrungen mit Wölfen gemacht?«
»Einmal, als ich noch sehr jung war, bin ich von einem Wolf angefallen worden. Ich kann mich kaum daran erinnern, meine Mutter hat mir davon erzählt, aber die Narben habe ich immer noch«, erwiderte Sergenor.
»Das bedeutet, dass der Geist des Wolfs dich erwählt hat. Der Wolf ist
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