Zyklus der Erdenkinder 06 - Ayla und das Lied der Höhlen
die Waffe zeigen wollen, die er entwickelt hatte. »Vielleicht müssen wir nicht mal einen Löwen töten, sondern nur einen oder zwei verwunden, damit sie lernen, sich fernzuhalten.«
»Jondalar«, sagte Ayla leise. Sie wappnete sich innerlich, ihm zu widersprechen oder zumindest etwas anzuführen, das er in Betracht ziehen sollte. Wieder schaute sie zu Boden, hob dann den Blick und sah ihm direkt in die Augen. Sie fürchtete sich nicht davor, ihm ihre Meinung kundzutun, aber sie wollte respektvoll sein. »Es stimmt, dass die Speerschleuder eine sehr gute Waffe ist. Damit kann ein Speer aus viel weiterer Entfernung geworfen werden als mit der Hand, und das macht es sicherer. Aber sicher heißt nicht ungefährlich. Ein verwundetes Tier ist unberechenbar. Und eines mit der Kraft und der Schnelligkeit eines Höhlenlöwen, das verletzt ist und außer sich vor Schmerz, ist zu allem fähig. Wenn du beschließt, diese Waffen gegen die Löwen einzusetzen, sollten sie nicht nur verletzen, sondern auch töten.«
»Sie hat Recht, Jondalar«, sagte Joharran.
Jondalar warf seinem Bruder einen Blick zu und lächelte dann verlegen. »Ja, aber so gefährlich Höhlenlöwen auch sind, es schmerzt mich immer, einen von ihnen zu töten, wenn es nicht sein muss. Sie sind so schön, so geschmeidig und anmutig in ihren Bewegungen. Höhlenlöwen haben nur wenig zu fürchten. Ihre Kraft verleiht ihnen Selbstvertrauen.« Stolz und Liebe flackerten in seinem Blick auf, als er Ayla ansah. »Ich fand immer, dass das Totem des Höhlenlöwen genau zu Ayla passt.« Befangen, weil er seine starken inneren Gefühle für sie gezeigt hatte, errötete er leicht. »Trotzdem glaube ich, dass dies der richtige Moment ist, Speerschleudern zum Einsatz zu bringen.«
Joharran bemerkte, dass die meisten der Gruppe näher getreten waren. »Wie viele von uns können damit umgehen?«, fragte er seinen Bruder.
»Nun ja, du und ich, und Ayla natürlich.« Jondalar schaute in die Runde. »Rushemar hat viel geübt und kommt schon gut damit zurecht. Solaban war damit beschäftigt, Elfenbeingriffe für Werkzeuge anzufertigen, und hat nicht so viel üben können, beherrscht aber die Grundzüge.«
»Ich habe die Speerschleuder einige Male ausprobiert, Joharran. Ich besitze keine eigene und werde auch nicht allzu gut damit fertig«, warf Thefona ein, »aber ich kann einen Speer ohne die Schleuder werfen.«
»Danke, Thefona, dass du mich daran erinnerst«, erwiderte Joharran. »Fast alle, auch die Frauen, haben ohne Speerschleuder Erfahrung mit Speeren. Das sollten wir nicht vergessen.« Dann richtete er sich an die gesamte Gruppe. »Wir müssen den Löwen zeigen, dass dies kein guter Rastplatz für sie ist. Alle, die es mit ihnen aufnehmen wollen, ob mit oder ohne Speerschleuder, sollen vortreten.«
Ayla löste die Tragedecke ihrer Tochter. »Folara, würdest du bitte auf Jonayla aufpassen?«, fragte sie und trat auf Jondalars jüngere Schwester zu. »Falls du nicht lieber bei uns bleiben und Höhlenlöwen jagen willst.«
»Ich war schon bei Treibjagden dabei, aber ich kam nie gut mit dem Speer zurecht, und mit der Schleuder gelingt es mir auch nicht besser«, antwortete Folara. »Ich kümmere mich um Jonayla.« Die Kleine war jetzt vollkommen wach, und als die junge Frau die Arme nach ihr ausstreckte, ließ sie sich bereitwillig an ihre Tante weiterreichen.
»Ich helfe ihr«, sagte Proleva zu Ayla. Joharrans Gefährtin trug ebenfalls einen Säugling in der Tragedecke, ein kleines Mädchen, nur ein paar Tage älter als Jonayla, und hatte zudem noch einen lebhaften kleinen Jungen dabei, der sechs Jahre zählte. »Ich finde, wir sollten alle Kinder von hier fortbringen, vielleicht hinter den vorstehenden Felsen oder hinauf zur Dritten Höhle.«
»Das ist eine gute Idee«, stimmte Joharran zu. »Die Jäger bleiben hier, die anderen gehen zurück, aber langsam. Keine plötzlichen Bewegungen. Die Höhlenlöwen sollen glauben, wir liefen nur ziellos herum wie eine Herde Auerochsen. Aber wenn wir uns aufteilen, muss jede Gruppe zusammenbleiben. Sie greifen wahrscheinlich nur Einzelne an.«
Ayla wandte sich wieder den vierbeinigen Jägern zu und sah viele Löwenköpfe, die wachsam in ihre Richtung gedreht waren. Sie beobachtete die umherlaufenden Tiere und machte unterschiedliche Merkmale aus, die ihr halfen, die Raubkatzen zu zählen. Eine große Löwin drehte sich gemächlich um - nein, ein Löwe, erkannte Ayla, als sie von hinten seine männlichen Organe sah. Einen Moment lang
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