miteinander zu tun haben. Das Gemeinsame liegt im neuen Sozialcharakter: Die sozialen Beziehungen des Histrio unterliegen einer ständigen Anziehungs-Ablehnungsdynamik. Er sucht – wohl auch: verzweifelt – nach festen, verläßlichen Bindungen, kann sie aber nur schwer auf Dauer halten. Seine romantisierende Weltsicht macht ihn für Idealisierungen besonders anfällig, entsprechend läßt er sich schnell begeistern. Überzogene Idealisierungen führen aber auf Dauer immer zu Enttäuschungen, da Menschen selten ganz so sind, wie der Histrio sie imaginiert. So ist er aufgrund seiner labilen Affektivität entsprechend schnell und tief enttäuscht. Dies alles wird durch seinen Erlebnishunger beschleunigt, für ihn verbrauchen sich Beziehungen jeder Art besonders schnell. Damit macht er sich und anderen das Leben schwer: »Die hysterisch-romantische Weltsicht sorgt für strahlende Helden und verdammenswerte Schurken« (Shapiro, 1991, S. 120).
Konkret heißt dies: Sein politisches Interesse ist aufgrund seiner Neigung zum oberflächlichen Denken und seinem Erlebnishunger eher event- und personenbezogen. Eventbezogenes Politikverständnis kann leicht zu »Hystorien« führen, wie die amerikanische Kulturwissenschaftlerin Elaine Showalter (1997) Massenhysterien im Zeitalter der Medien nennt. In den USA findet sie etwa das chronische Müdigkeitssyndrom, satanischen Ritualmißbrauch und Entführungen durch Außerirdische als Beispiele für derartige histrionische Epidemien. Sie sieht Hystorien als ein kulturell determiniertes Streß- und Angstsyndrom. Personenbezogenes Politikverständnis des Histrio führt zum Wunsch nach stabilen politischen Bezugspersonen, denen er schnell und nachhaltig positive Eigenschaften zuschreibt. Das reale politische Verhalten von Spitzenpolitikern sowie dessen mediale Aufbereitung lassen solche Idealisierungen schnell zusammenbrechen, der Histrio sucht als parteiungebundener Wechselwähler eine neue Figur oder wendet sich auf Dauer tief enttäuscht vom politischen Geschehen ab – er wird sozusagen ein gesellschaftspolitischer Single.
Als Mitarbeiter läßt er sich ebenfalls schnell von neuen Aufgaben und von charismatisch inszenierten Führungskräften begeistern, bis auch hier die enttäuschende Erfahrung eintritt: »The Company never cares!« In guten Zeiten kann er die Organisation oder die Abteilung wechseln, auf der Suche nach einem neuen Vorbild. In schlechten Zeiten muß er bleiben, er ist unzufrieden mit der Arbeit, zieht sich emotional zurück. Seine Schwierigkeiten im Umgang mit Konflikten erschweren konstruktive Anpassungsprozesse – notgedrungen beginnt eine stabil-unglückliche berufliche Beziehung.
In privaten Beziehungen macht sich die histrionische Persönlichkeit besonders bemerkbar, fallen hier doch viele äußere Zwänge weg. Er oder sie sucht sich mit Vorliebe solche Partner, die ihm oder ihr die gewünschte Stabilität geben, pumpt ihn oder sie mit seinen Idealvorstellungen gleichsam auf (Willi, 1997). Dies lassen sich inbesondere schwache und exhibitionsgehemmte Menschen gern gefallen. Sie fühlen sich dadurch aufgewertet und gestärkt. Auch hier brechen die Idealisierungen schnell zusammen, der schwache »hysterophile« (a.a.O., S. 146) Partner kann die Projektionen von Stärke auf Dauer nicht einlösen. Belastende Ereignisse führen zu Konflikten, die der Histrio inszenieren, der Partner eher vermeiden will. Entsprechend können keine konstruktiven Anpassungsprozesse vollzogen werden, die Beziehung wird instabil. Damit erlebt der Histrio aber erneut die traumatische Kindheitserfahrung der Bindungsunsicherheit, seine histrionischen Reaktionsweisen werden aktiviert, er stürzt sich in private und/oder berufliche Abenteuer. Dies wiederum belastet die fragile Beziehung weiter, eine Konflikteskalation setzt ein, irgendwann erfolgt die Trennung. Macht der Histrio mehrfach diese Erfahrung, wird er ein skeptischer Einzelgänger, ein depressions- und suchtanfälliger Single.
In allen Fällen greift das Fernsehen verstärkend in den Prozeß ein: Es stellt Politik zunehmend unterhaltungsorientiert und personalisierend dar, baut immer wieder neue, mediengerecht auftretende Politiker zu positiven Figuren auf, um ihr Image nachfolgend, im Begleiten ihrer realen Politik wieder zu zerstören. Dies geschieht gleichermaßen mit Führungspersonen aus der Wirtschaft, die dies im Prozeß der Charismagenese gern geschehen lassen, trägt es besonders in Krisenzeiten zu ihrem Marktwert
Weitere Kostenlose Bücher