erwähnten Video-malaise-Hypothese haben Gruppen, die sich ausschließlich des Fernsehens als Quelle der politischen Information bedienten, eine sehr viel zynischere Haltung zur Politik und den Politikern. Für die USA findet der amerikanische Politikwissenschaftler Putnam (2000) negative statistische Zusammenhänge zwischen einer unterhaltungsorientierten TV-Nutzung und diversen sozialen Aktivitäten, wie Teilnahme an Projekten der Wohngemeinde, am Vereinsleben, an sozial-karitativen Aktivitäten. Insgesamt gilt: Je mehr Unterhaltung genutzt wird, aber auch je unterhaltsamer die Politik präsentiert wird, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit der Abkehr von ihr.
Trübe Aussichten: ein politisch desinteressierter, gesellschaftlich nicht engagierter, an seinen Arbeitgeber emotional nicht gebundener, psychisch labiler, egoistischer, vor allem mit seiner Inszenierung beschäftigter und an Events interessierter Single als Bürger der Zukunft. Weder die Familie noch die Firma noch die Nation als soziale Verbände interessieren ihn sonderlich. Das kann einer Gesellschaft nicht guttun, ihre Wir-ich-Balance (Elias, 1987) gerät aus den Fugen.
Die Frage drängt sich auf: Läßt sich das überhaupt noch aufhalten? Stellt man sie auf Medientagen oder anderen medienpolitischen Show-Veranstaltungen, so erfolgt meistens der Hinweis auf die dringende Notwendigkeit der Vermittlung von Medienkompetenz (vgl. zum Folgenden Winterhoff-Spurk, 2004).
Vor der Beantwortung der Frage, ob und wie die Vermittlung von Medienkompetenz zur Nutzenmaximierung und zur Schadensminimierung beitragen kann, ist es nötig, sich Klarheit über diesen schillernden Begriff zu schaffen. Es bietet sich an, hier zunächst einmal die klassischen Massenmedien (Zeitung, Hörfunk und Fernsehen) von den Informationstechnologien (PC und Internet mit allen technischen Ergänzungen) zu trennen. Hinsichtlich der Kompetenz macht eine Unterteilung nach Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz Sinn: Lassen wir die Frage des angemessenen Umgangs mit den Informationstechnologien hier außer acht, so meint die sächliche Medienkompetenz die technischen Fähigkeiten zur Inbetriebnahme und Bedienung von Geräten wie die aktive und passive Beherrschung der entsprechenden Mediencodes. Die selbstbezogene Medienkompetenz ist die Fähigkeit zur selektiven und reflexiven Medienrezeption, und die soziale Medienkompetenz bezieht sich auf die Kenntnis der sozialen Auswirkungen von Medien und Medienrezeption.
Dazu gibt es schon seit langem interessante Projekte, vor allem in den USA, die dort unter den Stichworten Visual education oder visual literacy geführt werden. Deren Ziele bestehen vor allem in der Vermittlung formal-ästhetischer Kenntnisse und im Erwerb sozialkritischer Einstellungen zum Fernsehen. Im einzelnen zählen dazu:
Verständnis der Grammatik und Syntax des Fernsehens,
Vermittlung von individuellen Auswahlstrategien,
Wissenserwerb über die TV-Technik,
kritische Haltung zur Werbung,
Fähigkeit zum Medienvergleich,
Kenntnisse über die TV-Industrie,
Identifikation von TV-spezifischen Werten,
Kenntnisse medienwissenschaftlicher Rezeptions- und Wirkungsstudien,
Hintergründe der Nachrichtenproduktion,
Fertigkeiten zur Unterscheidung von Realität und Fiktion u.a.m.
Wissenschaftliche Begleituntersuchungen dieser Programme zeigen, daß alle diese Ziele auch erreicht werden können: Kinder und Jugendliche, die an entsprechenden Unterrichtseinheiten teilgenommen haben, können beispielsweise anschließend die formalen Gestaltungsmittel des Fernsehens besser identifizieren, reale und fiktive Informationen leichter unterscheiden, Werbung kritischer beurteilen und ihren mentalen Aufwand beim Fernsehen variabler einsetzen als Kinder, die nicht an den Programmen teilgenommen haben. Diese Effekte sind übrigens durchaus nicht an die Schule gebunden: Auch der reflektierte Umgang mit dem Medium in der Familie – insbesondere die Erklärung und die ethische Bewertung von TV-Inhalten – zeigt ähnliche Wirkungen. Kinder aus diesen Familien gehen nicht nur mit dem Fernsehen insgesamt und einzelnen Genres (wie z.B. Werbung) selektiver um, sie haben auch besseres politisches und geographisches Wissen, weniger Vorurteile und Ängste, sind weniger aggressiv u.a.m. (vgl. Cantor & Wilson, 2003).
Vergleichbare, in systematisch kontrollierten Untersuchungen evaluierte TV-Curricula wie in den USA gibt es bei uns kaum. So hat eine Bestandsaufnahme zur Medienerziehung im
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