0001 - Im Nachtclub der Vampire
immer wieder verstohlen um. Sie hoffte, den blondhaarigen Engländer noch einmal wiederzusehen, doch John Sinclair war im Gewühl der Menschen verschwunden.
»Mein Wagen steht im Parkhaus III«, erklärte Lionel Sanders, als sie durch die langen überdachten Gänge schritten.
Marina nickte. Ihre Laune war um einige Grade gesunken. Den Kopf gesenkt, ging sie entmutigt hinter Mr. Sanders her. Erst das Pech mit John, undjetzt liegt Helen auch noch im Krankenhaus, dachte sie verbittert. Am liebsten würde ich nach Hause fahren.
Ihr Job begann erst in zwei Wochen. Es war gar nicht einfach gewesen, an eine Stelle zu kommen. Marina hatte lange suchen müssen und auch die Arbeitsämter eingeschaltet. Dann hatte sie das erste Angebot akzeptiert.
Lionel Sanders steuerte auf einen dunkelroten Rover zu. Es war schon ein älteres Modell, vielleicht Baujahr Siebzig. Aber noch gut in Schuß.
Das Gepäck wurde im Kofferraum verstaut. Galant öffnete Lionel Sanders dem jungen Mädchen die Tür. »Sollen wir erst noch eine kleine Stadtrundfahrt durch London machen?« fragte er, »oder wollen Sie sofort zu uns nach Hause? Meine Frau wartet schon. Sie hat auch Kuchen gebacken. Apfelkuchen, dazu gibt es warme Vanillesoße. Ein Gedicht, sage ich Ihnen.«
Marina lachte. »Sie haben mich überzeugt, Mister Sanders. Fahren wir zu Ihnen.«
»Wunderbar.« Sanders lenkte den Wagen durch die schmalen Betonserpentinen des Parkhauses. Über die M4 erreichten sie London. Unterwegs bekam Marina doch einiges zu sehen. Sie fuhren am Hyde Park vorbei und fanden sich plötzlich, zwischen den hohen zweistöckigen Bussen eingekeilt, im Gewühl von Piccadilly Circus wieder.
Mr. Sanders bog von der breiten Regent Street ab. Marina war enttäuscht. Sie sah kleine, halbverfallene Läden, ein paar Straßenmärkte und miese Hinterhöfe.
»Das soll Soho sein? Kaum zu glauben. Ich dachte immer, hier wäre der Bär los.«
Lionel Sanders mußte lachen. »Der Bär ist – wie Sie so schön sagen – abends los. Dann erkennen Sie manche Straßen gar nicht mehr wieder. Sie kommen doch aus Deutschland. Waren Sie schon mal in Hamburg?«
»Ja.«
»Auch auf St. Pauli?«
Marina nickte. »Das gehört doch dazu.«
»Sicher. Dann müssen Sie aber mal St. Pauli morgens um sechs Uhr sehen. Da werden Sie sich wundern. Nichts mehr vom abend- und nächtlichen Lichterglanz. Alles tot. Bierleichen auf den Bürgersteigen. So ähnlich verhält es sich auch mit Soho. Ich weiß das genau, weil wir ziemlich an der Grenze zu diesem Stadtteil wohnen.«
»Ich wußte gar nicht, daß die Berners Street so nahe bei Soho liegt«, sagte Marina.
»Das ist aber auch alles, was sie mit Soho gemeinsam hat.«
Marina hob die Schultern und zündete sich eine Zigarette an. Lionel Sanders war Nichtraucher.
Sie fuhren jetzt durch Wohnviertel. Graue alte Fassaden, die längst einer Renovierung bedurft hätten. Dann wurde die Gegend wieder etwas freundlicher. Die Wohnhäuser besaßen Vorgärten. Breite Steintreppen führten zu den Hauseingängen hoch. Auf den Bürgersteigen spielten Kinder. Hohe, dicht belaubte Bäume gaben Schatten.
Lionel Sanders bremste. »Das vierte Haus auf dieser Seite«, sagte er, »das ist es.«
Marina blickte aus dem Fenster. Das Haus sah nicht anders aus als die übrigen in der Straße. Vielleicht war der Vorgarten etwas gepflegter. Zwei Frauen, die sich auf dem Bürgersteig unterhielten, drehten sich um, als der Wagen stoppte.
Lionel Sanders und Marina Held stiegen aus. Sanders öffnete die Haube des Kofferraums.
»Das ist unser Besuch aus Germany«, erklärte er den neugierigen Frauen.
Die Frauen lächelten Marina gutmütig zu. Marina lächelte zurück.
Lionel Sanders hatte das Gepäck aus dem Kofferraum gehievt und ließ die Klappe wieder zufallen. Durch das offene Vorgartentor schleppte er die beiden Koffer zum Haus. Marina hielt nur ihre Handtasche.
Die Haustür wurde geöffnet. Eine etwas rundlich wirkende Frau stand auf der obersten Stufe. Ihr Gesicht schien mit Tausenden von Lachfältchen überzogen zu sein, als sie rief: »Herzlich willkommen, Miß Marina.«
Mrs. Sanders ließ ihren Mann an sich vorbeigehen, schloß Marina in ihre Arme und drückte sie an den wallenden Busen. »Ich freue mich, daß Sie endlich hier sind. Helen hat mir ja so viel von Ihnen erzählt. Wie schade, daß sie ausgerechnet jetzt ins Krankenhaus mußte! Aber es dauert höchstens zwei Wochen. So, und nun kommen Sie erst einmal in die Wohnung. Sie werden sicher müde
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