0004 - Götterdämmerung
Künstler, und da er sehr nette Zeichnungen anfertigte, erkannte ihn auch jeder als solchen an.
Schließlich wäre noch Frettel zu erwähnen, der ebenfalls so klug war, das Künstlertum als Nebenberuf zu betrachten. Frettel war Sänger, Conferencier, Veranstalter, Manager, Mäzen, Organisator - und Arzt.
„Das Thema des heutigen Abends", begann der Gastgeber und nahm Aarn schnell eine Zigarette aus der Packung, als dieser nicht aufpaßte, „dürfte klar sein. Schon am letzten Freitag kam Frettel auf einige merkwürdige Ereignisse zu sprechen, die sich in London abgespielt haben sollen. Wir fanden keine Erklärung. Lothar meint, es handele sich zweifellos um eine der Parawissenschaften, von denen ich, ehrlich gesagt, nicht viel verstehe und daher auch nichts halte. Wenigstens war das bis gestern mein Standpunkt."
Lothar nahm die Oliven, die Aarn mitgebracht hatte. Fast gedankenlos schüttelte er den Inhalt des kleinen Glases in seinen großen Mund. Voller Genuß kaute er.
„Bis gestern?" Er kaute mühsam. „Was soll das bedeuten?"
„Daß ich meine Meinung änderte", erwiderte Ellert und versuchte, eine der Oliven für sich zu retten, was ihm jedoch mißlang. Er entschädigte sich an dem Whisky, den Johnny gespendet hatte.
„Man kann als Künstler ]a schließlich seine Meinung ändern, wenn man will."
„Sie ist das einzige, was wir ändern können", bemerkte Frettel tiefsinnig. „Außer vielleicht manchmal die Zahlen auf den Honoraranforderungen."
„Du bist Arzt!" machte ihn Ellert aufmerksam. „Bei den Schriftstellern ist das nicht so einfach. Unsere Verleger..."
„Unsere Verleger sind die Krankenkassen", sagte Frettel doppeldeutig. Er zündete sich umständlich eine lange Pfeife an, als befürchte er bereits zuviel gesagt zu haben. „Sie arbeiten mit vorgeschriebenen Sätzen."
Aarn interessierten diese Fragen nicht, weil er seinen Autoren überhaupt keine Honorare zahlte, da sie glücklich genug waren, ihre Namen in der kleinen Zeitschrift lesen zu dürfen. Er unterbrach daher brüsk: „Wieso hast du erst gestern deine Meinung über die Parapsychologie geändert, Ernst?"
Ellert war dankbar, nicht mehr über Geld sprechen zu müssen, von dem er nicht viel besaß.
„Weil mir gestern etwas Merkwürdiges passierte."
„Erzähle!" forderte Johnny ihn auf und bemühte sich, den Whisky in Verwahrung zu nehmen, ehe die Flasche leer war.
„Vielleicht erhalte ich einige Anregungen."
„Das glaube ich kaum", gab Ellert zurück und zwinkerte, um aber sofort wieder ernst zu werden, „Gut, ich werde euch eine Geschichte erzählen - eine sehr interessante Geschichte, von der ich schon jetzt behaupte, daß sie mir niemand glaubt."
Er wartete, bis seine Gäste sich bequemer gesetzt und ihre Zigaretten angezündet hatten, dann fragte er: „Was haltet ihr von der Zeitreise?"
Allgemeine Verblüffung. Dann knurrte Aarn: „Dein Hobby, nicht wahr? Du hast sogar einmal darüber geschrieben, was alle vernünftigen Menschen dir sehr übelnahmen. Wenn du mich fragen solltest, ich halte sie für ein unterhaltsames Hirngespinst."
Die anderen nickten zustimmend. Ellert seufzte. „Ich habe es nicht anders erwartet. Also gut, dann hört trotzdem meine Geschichte. Ihr wißt, daß ich mich mit diesem Problem befasse und es für durchaus möglich halte, eine Zeitreise im geistigen Sinne zu vollführen. Schon ein Traum kann eine solche mentale Zeitreise sein, wenn er uns in die Vergangenheit oder fernste Zukunft versetzt. Allein die Erinnerung an vergangene Erlebnisse bedeutet eine solche Zeitreise, wenn auch nur in engerem Sinn. Ihr seht also, daß der Gedanke an Zeitreise nicht so abwegig ist."
„Moment!" warf Frettel ein. „Das ist doch Unsinn! Was hat denn das mit Zeitreise zu tun? Ich verstehe darunter das Versetzen des Körpers eines Menschen in die Zukunft oder auch Vergangenheit. Ich muß mich also selbst in einer anderen Zeit befinden, um von einer solchen Reise sprechen zu können."
„Sehr richtig", nickte Ellert zu seiner Überraschung. „Der Meinung bin ich auch, obwohl ich die andere Möglichkeit aufzeichnete. Sie ist nämlich die Voraussetzung. Kurz und gut: Ich liege abends oft stundenlang im Bett und grübele darüber nach, ob es mir nicht möglich sein könnte, einen Blick in die Zukunft zu werfen - selbst dann wäre ich versessen darauf, wenn ich es nur mit dem Geist tun könnte, ohne selbst in dieser Zukunft zu weilen. Ich zerbreche mir den Kopf über die Zusammenhänge zwischen Traum,
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