0004 - Götterdämmerung
Phantasie und Wunsch, zwischen der hypothetischen Möglichkeit der Teleportation und der temporalen Teleportation, wenn ich es mal so nennen soll. Wenn es möglich sein soll, daß der Körper dem Geist an einen anderen Ort folgen kann, so müßte es auch möglich sein, daß er ihm in eine andere Zeit folgt."
„Junge, Junge", machte Johnny und ließ die Hände nicht von der Flasche auf dem Tisch. „Du hast vielleicht eine Art, unmögliche Dinge plausibel zu machen."
„Kunststück", knurrte Frettel. Dafür wird er bezahlt."
Ellert wartete, bis die Erregung sich legte. Er sah sehr selbstsicher aus, und wer ihn kannte, der wußte jetzt ganz genau, daß noch einige Überraschungen bevorstanden. allmählich wird es spannend", bemerkte Lothar zynisch.
„Weiter!" verlangte Aarn. In seinen Augen lauerte ein spekulatives Funkeln.
Ellert nickte.
„Mich interessiert die Zukunft, also galten auch ihr stets meine ganzen Gedanken. Gestern besonders. Niemand weiß, was morgen ist, und erst recht weiß niemand, ob wir morgen noch existieren. Im vergangenen Jahr sind wir zwei- oder dreimal hart am Weltuntergang vorbeigerutscht. Ein Atomkrieg - und wir sind erledigt. Das ist doch wohl jedem klar. Hätte dieser Rhodan nicht eingegriffen, säßen wir heute nicht hier so gemütlich zusammen. Und trotzdem wird er als unser Feind bezeichnet. Allein das scheint mir unlogisch. Also kurz und gut, meine Gedanken konzentrierten sich gestern abend, als ich hier in meinem Bett lag, derart auf die Zukunft, daß ich fast glaubte, plötzlich in ihr zu weilen. Ich wollte unbedingt wissen, was in einem Jahr sein würde. Ich wollte es wissen! Und - dann wußte ich es!"
„Wie bitte?" rief Johnny und ließ vor Schreck die Flasche los, was von Aarn rücksichtslos ausgenutzt wurde.
„Du wußtest es? Das mußt du uns aber näher erklären."
„Ich bin schon dabei. Während meine Gedanken sich regelrecht in dem Problem verbissen, spürte ich plötzlich, wie eine Veränderung mit mir vorging. Mir blieb keine Zeit, sie zu definieren, denn alles geschah zu schnell. Es wurde dunkel in meinem Zimmer, Sekunden - es können auch Ewigkeiten gewesen sein - schwebte ich in totaler Finsternis - und dann wurde es plötzlich wieder hell um mich. Ja, es wurde hell. Die Sonne schien ins Zimmer. Ich saß auf dem Bett. Innerhalb einer Sekunde war es Tag geworden.
„Du warst sicher besoffen", vermutete Johnny. Ellert schüttelte den Kopf.
„Warte nur ab, mein Freund. Ich bin noch nicht fertig mit meiner Geschichte. Es war also Tag, und die Sonne schien. Ich stand auf und sah mich verwundert um. Zuerst nahm ich an, mein angestrengtes Nachdenken habe mich tatsächlich einschlafen lassen, und nun sei es eben Morgen, und ich müsse aufstehen. Dann aber fiel mir auf, daß zwei meiner gewohnten Bilder fehlten. Deine übrigens, Johnny. Dafür hingen zwei andere an ihrer Stelle. Das Signum war das von Aarn …"
„So große Bilder habe ich noch nicht gemalt", warf Aarn ein.
„Eben!" nickte Ellert. „Damit haben wir bereits den ersten Beweis. Aber - du wirst sie malen! Für die Verlage, meinetwegen. Und mir wirst du zwei schenken, eines Tages, in naher Zukunft. Jene nämlich, die ich gestern gesehen habe."
„Er ist verrückt geworden", flüsterte Lothar seinem Nachbarn Frettel besorgt zu. „Vielleicht solltest du ihn mal untersuchen."
„Ich repariere Blinddärme, aber keine Geisteskranken", gab der Arzt trocken zurück. Ellert ließ sich nicht stören. „Zuerst begriff ich natürlich nicht. Ich besah mir die Bilder - sie sind übrigens großartig, Aarn - und schritt weiter und blieb vor dem Kalender stehen. Ihr wißt, ich habe immer den großflächigen Notizkalender dort hängen. Darauf vermerke ich alle Verabredungen und Termine. Heute z. B. steht darauf: Johnny, Aarn, Lothar, Frettel. Das bedeutet, ihr werdet mich heute mit eurem Besuch beehren. Also - ich sehe auf den Kalender - ja, was glaubt ihr, was ich sehe?"
„Keine Ahnung", murmelte Lothar. „Rede schon!"
„Das Datum! Was denn sonst? Es war der 17. November 1973."
Johnny begann zu lachen. Er angelte wieder nach seiner Flasche, nahm einen kräftigen Schluck und reichte sie gedankenlos weiter, was ihn teuer zu stehen kam. Er lachte, bis ihm die Tränen aus den Augen kullerten. Vergeblich versuchte er, etwas zu sagen. Frettel lachte nicht.
„Ist das wahr?" fragte er. Und dann: „Erkläre! Was war geschehen?"
„Sehr einfach: mein fast übermenschlicher Wunsch hatte mich in die Zukunft
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