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0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder

0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder

Titel: 0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delfried Kaufmann
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ich mit Hilfe einer gestopften Tuchrolle und einer Perücke, die sich ebenfalls im Koffer befanden, einen schlafenden Mann in das Bett, überprüfte mein Werk, war zufrieden und löschte das Licht aus.
    An mir selber waren nicht mehr viel Veränderungen vorzunehmen. Ich zog mir die Schuhe aus, stellte mich in den kleinen Zwischenraum zwischen Kofferablage und der Wand zum Gang neben die Tür. Ich nahm den Revolver in die rechte Hand. Aufrecht wie eine Schildwache vor dem Palast der englischen Königin stand ich und wartete.
    Stundenlang war kein anderes Geräusch mehr zu vernehmen als das gleichmäßige Rauschen der Räder. Mit aller Macht mußte ich mich wach halten, damit mir meine Sinne, verführt von dem monotonen Geräusch, nicht entglitten.
    Dann, nach einer ungezählten Zahl von Minuten, hörte ich es: ein leises scharfes Kratzen an der Tür. Ich hielt den Atem an. Die Tür war verschlossen, aber ich wußte, daß es für den Mörder kein Problem war, die einfachen Schlösser von Kabinentüren zu öffnen. Sekunden später nach dem ersten Geräusch vernahm ich das dünne Schnappen des zurückschlagenden Schlosses.
    Es knirschte ein wenig, als die Klinke hinuntergedrückt wurde. Die Tür öffnete sich einen Spalt, wurde wieder angehalten. Ich hörte ein Klirren, als stecke jemand sehr vorsichtig einen Schlüsselbund in die Tasche. Dann ging die Tür ganz auf. Etwas huschte blitzschnell und völlig lautlos durch das spärliche Licht, das vom Gang her in die Kabine fiel. Der Lichtschein verschwand sofort wieder, da der Unbekannte die Tür schnell zudrückte, bei aller Schnelligkeit aber ohne jedes Geräusch.
    Mir begann die Luft knapp zu werden, und ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Unmittelbar neben mir hörte ich die leisen Atemzüge eines Menschen. Wir standen so eng nebeneinander, daß sich unsere Arme fast berührten.
    Schon wollte ich losbrechen, als ich in der völligen Dunkelheit zwei rasche, kaum vernehmbare Schritte hörte. Dann blitzte der scharfe Strahl einer Taschenlampe auf, richtete sich zielsicher auf das Bett und riß die Perücke über der hochgezogenen Bettdecke in grelles Licht.
    Ich hob den Arm. Ein, zwei große rasche Schritte, ein schwerer Schlag mit der linken Hand über die Schulter des Eindringlings hinweg auf seinen rechten Arm, und gleichzeitig bohrte ich ihm den Lauf des Revolvers in den Rücken.
    »Hände hoch!« sagte ich scharf. »Rühr dich nicht, sonst knallt es!« Es klirrte. Der Unbekannte ließ die Taschenlampe fallen. Sie brannte weiter, nur richtete sie ihren Schein völlig sinnlos auf Mark Sounds Morgenrock, der im Rütteln des Zuges leise am Kleiderhaken schaukelte.
    Ich trat zwei Schritte zurück. Meine Hand ertastete den Lichtschalter. Die Deckenbeleuchtung flammte auf. Ich sah den Rücken, die Gestalt, die langen Haare meines Gefangenen. Es war eine Frau.
    »Umdrehen!« befahl ich, und meine Stimme klang unfrei, als hätten meine Stimmbänder plötzlich einen Knoten geschlagen. Sie gehorchte. Ich blickte in Death-Lillys totenbleiches Gesicht.
    ***
    Es war eine Überraschung, aber im selben Augenblick, in dem sie geschehen war, wurde sie zu einer Tatsache, zu einer nicht einmal mehr erstaunlichen Tatsache. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, und ich begriff manche Zusammenhänge, die ich vorher nicht überschaut hatte.
    Death-Lilly war also der Eisenbahn-Mörder. Death-Lilly. Der Name, unter dem sie ihren Trapezakt durchführte, bezeichnete wirklich ihren Beruf. Todes-Lilly.
    Auge in Auge standen wir uns gegenüber. Sie erkannte mich nicht. Ihr wächsernes Gesicht verzog sich zu einem krampfhaften Lächeln.
    »Sie — Sie haben mich fürchterlich erschreckt, Sir«, stammelte sie. »Ich — ich muß mich in der Kabine geirrt haben. Ist dies nicht Nummer vierundzwanzig?« Je länger sie sprach, desto größere Sicherheit schien sie zu gewinnen, freilich eine Sicherheit, die aus der Verzweiflung kam.
    »Es ist Kabine Nummer einunddreißig«, antwortete ich. »Und die Tür war abgeschlossen, als Sie eindrangen.«
    »Nein, Sie irren sich, Sir«, sagte sie, immer mit diesem verzweifelten Lächeln. »Sie war offen. Entschuldigen Sie mein Versehen.«
    »Und was ist das?« fragte ich und zeigte mit dem Lauf der Waffe auf einen kurzläufigen Revolver mit der dicken Metallhülse des Schalldämpfers, der vor dem Bett neben einer schwarzen Damenhandtasche auf der Erde lag.
    »Es ist mein Revolver, Sir«, flüsterte sie. »Ich trage ihn immer in der Handtasche. Er

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